Tag 16: Von Wolnzach nach München
Nach all den suboptimalen Erfahrungen mit meinem Hotel gestern Abend schaue ich, daß ich mich zügig schleich’. Obwohl ich `mit Frühstück´ gebucht hatte, suche ich lieber einen anderen Ort, um diesen Tag erbaulicher zu beginnen.
Ich finde ihn in Gestalt eines kleinen Ladens, der mir bereits auf der spätabendlichen Anfahrt gestern aufgefallen war. Dort verkaufen sie unter Anderem hochwertige Gewürze, Schokoladen, Spirituosen, Essigvariationen – und haben eine teuer aussehende, riesige italienische Espressomaschine hinter dem Tresen stehen. Ich werde nicht enttäuscht: Der Latte Macchiato (Kaffee von Dinzler) schmeckt super! Dazu gibt es einen Florentiner mit weißer Schokolade.
Weiter geht es mit der Besichtigung des “Deutschen Hopfenmuseums”, das Wolnzachs Innenstadt dominiert. Hier befinden wir uns im Zentrum des wichtigsten deutschen Hopfenanbaugebietes, doch im Museum lerne ich schnell, daß Hopfen früher – auch wegen dessen Leichtverderblichkeit – nahezu überall angebaut wurde – so auch in München, wo der “erste Stadtplan” vom Anfang des 17. Jahrhunderts in der Nähe des Sendlinger Tors einen Hopfengarten ausweist. Reisen bildet – auch über die eigene Heimat!
Dieses Museum hier ist eine extrem positive Überraschung. Als ausgebildeter Tourguide weiß ich aus einschlägigen Publikationen schon seit Jahren von der Existenz eines großen Museums zum Thema Hopfen in Wolnzach, aber ich hatte den “Pflichtbesuch”, den ich mir bei wichtigen Museum wegen meines Jobs normaler Weise auferlege in der Vergangenheit in dem Fall immer wieder hinausgezögert, denn unterschwellig war mein Gedanke immer wieder gewesen: “Hopfen? Was kann es zu so einem Thema schon Sehenswertes geben, daß man so etwas gleich ein ganzes MUSEUM widmet?”
Nun, ich wurde definitiv eines Besseren belehrt: Ich lerne, daß Hopfen früher ein sehr wichtiges Handelsgut war – so gewinnträchtig, daß in Spitzenzeiten in der Hopfenhandelsstadt Nürnberg gleichzeitig an die 400 (!) Hopfenhandelsunternehmen firmierten! Auch heute noch gibt es ganze Villenquartiere, die vom Reichtum jener Händler damals zeugen. Viele dieser Händler waren Juden, war doch diese Handelstätigkeit eine der wenigen Nischen, die ihnen die damalige, religionsintolerante “Christengesellschaft” noch ließ. Es ist eine Tragik, wie dann unter dem Nationalsozialismus die “Strafe” dafür erfolgte, daß jene jüdischen Händler ihre winzige Nische erfolgreich zu betreiben verstanden!
Die Ausstellung beleuchtet alle Aspekte nicht nur des Hopfenhandels, sondern auch des Anbaus – mit den verschiedenen Rankhilfesystemen, Beackerungs-, Pflege- und Erntemethoden, sowie des Hopfenzupfens, bei dem die Hopfendolde vom Rest der Pflanze gelöst wird. Es gibt in unseren Breitengraden keine Pflanze, die schneller als der Hopfen wächst – bis zu 30 Zentimeter am Tag! Auch das ist mir neu.
Während früher einzelne Bauern bis zu 50 Erntehelfer beschäftigten, wurde deren Arbeit zunehmend von Maschinen abgelöst. Das wiederum hatte soziale Konsequenzen, da etwa mit der Hopfenernte gesellige Feste verbunden waren, die somit teilweise wegfielen.
Es würde den Rahmen sprengen, alle Bereiche, die in dem Museum vorkommen hier vorzustellen – es sind so viele! Chemische Eigenschaften des Hopfens, Hopfen in der Klostermedizin, Genossenschaften und finanzielle Aspekte, Lagerung und Transport, das Bierbrauen wird auch kurz angeschnitten – und so weiter, und so fort. Mein Fazit ist: Wer auch nur ein breit gefächertes Interessensspektrum hat, und nicht einmal sonders an der Hopfenpflanze selbst interessiert ist, sollte sich dieses Museum unbedingt ansehen – und für den Besuch mindestens zwei Stunden mitbringen!
Außerhalb des Museums laufen gerade die Vorbereitungen des Bayerischen Rundfunks für eine Art Volkslauf, für welchen am darauffolgenden Tag 5000 Läufer erwartet werden. Drehkräne, Bühnen, Übertragungswägen säumen die Straßen. Und die auf den Boden gesprayten Markierungen für den Streckenverlauf begleiten mich noch einige Zeit nach Verlassen der Stadt.
Natürlich ist die Landschaft in der Folge stark geprägt vom Hopfenanbau: Überall die charakteristischen Konstruktionen aus kesselimprägnierten, in den Boden gerammten Holzpfählen, dicken Stahlkabeln, die all das Holz in aufrechter Position nach allen Seiten wie ein Zelt abspannen, und den abertausenden der daran abgehängten Drähte, an welchen sich von unten der Hopfen himmelwärts schlingt. Seit dem Museumsbesuch hat sich mir endlich auch eine seit Jahrzehnten offene Frage geklärt: Hopfen ist MEHRJÄHRIG! Eine individuelle Hopfenpflanze kann bis zu 50 Jahre alt werden.
Leicht “nervig” für mich ist die Hügeligkeit der Landschaft. Mitunter sind es ganz schön lange und mittelschwere Steigungen, nach welchen es aber wenigstens angenehm immer wieder “im Geiersturzflug” abwärts geht. Das geht so einige Zeit, bis ich in nicht allzu weiter Ferne die steil hochfahrenden Flieger vom Flughafen im Erdinger Moos am Horizont ausmache. Zu meiner Überraschung reichen die letzten Hopfenfelder südlich bis fast an die Stadt Freising heran. Wenn man die A9 von München kommend hoch gen Norden fährt, fangen dort meiner Erinnerung nach die ersten Hopfenfelder erst weitaus später an.
Zwischen den Feldern mache ich plötzlich ein sehr seltenes Wegkreuz aus: Es zeigt neben dem an’s Kreuz geschlagenen Jesus allerlei Gerätschaften nebst scheinbar “abgeschlagenen” Händen und Füßen. Seit meiner Reise weiß ich nun, wie der Fachbegriff für diese auf mich eher gruselig wirkende Sonderform des Kruzifixes heißt: Es handelt sich dabei um sogenannte “Arma-Christi-Kreuze”. Ich hatte eigentlich nicht vor gehabt, in meinem Blog so viel über Kreuze zu sprechen, aber die Reise hat mir dieses Thema sozusagen präsentiert.
Ungefähr zwölf Kilometer vor Unterschleißheim sehe ich linkerhand eine riesige Hühnerfarm. Die Hühner haben außerhalb ihres Gehegestalls eine gigantische Freilauffläche. So eine Große hatte ich zuvor noch nie gesehen. Das beeindruckt mich. Doch ich sehe, daß ganz schön viele der Hühner auch jenseits des Zaunes unter den Büschen picken. Wie mag es funktionieren, Abends diese hunderten Tiere wieder einzufangen? Ich beschließe, nachzufragen. Auf dem Hof treffe ich den Eigentümer. Er sagt mir, er müsse immer warten, bis es fast dunkel ist. Vorher hätten nämlich die Hühner keine Lust, in den Stall zu gehen (“ist ja schließlich noch was los,” ;-)). Dann aber laufen die meisten freiwillig nach drinnen. Nur ein paar einzelnen Hühnern gefällt es, außerhalb ihres Stalls irgendwo heimlich ein Nest anzulegen, und dort zu brüten. Die “kenne man aber”, und die muß man dann halt einzeln holen kommen. Befriedigt über die geschlossene Wissenslücke setze ich meinen Weg fort.
Wenig später fahre ich in einer schönen Landschaft an einem fast vollständig trockenliegenden, tief eingeschnittenen Flusslauf entlang. Das muß ein Kanal sein – ich nehme an, ein Nebenlauf der Amper. Wahrscheinlich wird irgendwo am Kanal gerade was ausgebessert, und darum hat man den Zulauf gesperrt. An einer Brücke mache ich Rast, und studiere die Karte auf dem iPad. Während ich so von der Brücke hinunterschaue, entdecke ich tief unter der sonst vorhandenen Wasserlinie einen aufgebrochenen Tresor. Diebe müssen ihn hier nachts entsorgt haben, um ihre Spuren zu verwischen. Neben dem schon stark verrosteten, sehr schwer aussehenden Korpus des Tresors liegt separat die abgerissene Tür. Offensichtlich ist der Tresor leer. Nicht weit von ihm entfernt fällt mir hingegen ein weiterer Gegenstand auf, für den ich in’s Flussbett hinabklettere: Es ist eine -verschlossene- Geldkassette! Leider klappert nichts verdächtig im Inneren, sodaß ich im Wesentlichen davon ausgehe, daß auch sie leer ist. Trotzdem schnalle ich sie auf meine Packtaschen, und liefere sie bei der nächsten Polizeistation ab, in Unterschleißheim.
Auch den Polizisten gelingt es eine viertel Stunde lang nicht, die Kassette zu öffnen. Sie wollen mich anderntags anrufen, um mich zu verständigen falls in der Kassette was drin war. Ein schöner Finderlohn für wertvolles Geschmeide oder einen kleinen Goldbarren wäre für den Abschluss meiner Reise doch eine feine Sache! 😉 Später erfuhr ich übrigens: Leider war die Schatulle, wie auch der Panzerschrank, leer. Macht nix – ein nettes Abenteuer war es allemal.
Nach Unterschleißheim fängt es sehr ekelhaft an zu regnen. Mir war das bereits mehrfach auf meiner Reise aufgefallen: Ist die Sonne weg, kommen mitunter geradezu polare Kälteströmungen dahergeweht! Teilweise wird es bis auf 11° Celsius kalt, und mein Atem dampft in der Luft. Eingepackt in Fleejacke, die Goretexjacke darübergezogen strample ich bis zum Schloß Schleißheim weiter, wo ich an der Schloßgaststätte mein Liegerad unter einem der großen Biergartenschirme abstelle und einen Schweinebraten esse. Weiter geht es am Flugfeld der Flugwerft Schleißheim auf einem wunderbaren Radweg entlang. Es wird dunkel, und zu meinem Verdruss stelle ich fest, daß die Beleuchtung vorne ausgefallen ist! Unter einem Baum im Trockenen versuche ich sie zu reparieren. Doch auch nach dem Auswechseln des Birnchens, und dem Rütteln an den Steckern geht nix. So fahre ich halt ohne Licht vorne weiter – was soll ich auch sonst machen? Jetzt muß ich halt noch mehr aufpassen, und so fahren, als sei ich von vorne für Andere unsichtbar.
In jetzt strömendem Regen passiere ich an der Panzerwiese das Ortsschild München. Gott sei Dank hat die große Bäckerei an der Leopoldstraße bis 23:00 Uhr geöffnet (andere, über diese Öffnungszeiten ebenfalls verdutzte Münchner, die sich nach mir in’s Trockene retten kommentieren das anerkennend mit “ihr seid’s ja verrückt!”. Ja – das Münchner Nachtleben hat sich verändert. Heute werden die Gehsteige überwiegend wieder früher hochgeklappt als noch vor zehn Jahren. Aber heute liegt das nicht mehr an katholisch/konservativ geprägten Sozialvorstellungen, sondern daran, daß die Münchner nachts einfach nicht mehr so viel ausgehen – wohl, weil das Geld nicht mehr so locker sitzt.
Ein Latte Macchiato und eine Kokosmakrone geben mir den nötigen “Kick” für die letzten fünf Kilometer.
Abschließendes Fazit zu etwa 800 Kilometern Deutschland: Dies war eine Tour, in der vor allem Überraschungen im Vordergrund standen. Definitiv einer der besten Urlaube meines gesamten Lebens, Thumbs Up!
Die interessantesten Gegenden erlebte ich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sowie im hohen Norden.
An Equipment hat sich vor allem die Feuchtigkeit-abtransportierende Funktionskleidung sehr bewährt – und darunter insbesondere jene von Odlo, weil die nicht zum stinken anfängt. Definitiv wichtig für meine nächste lange Reise wird ein wesentlich stärkeres USB-Ladegerät mit mehreren Anschlüssen – für Handy, iPad, Bluetooth-Headset und Go Pro-Kamera. Ich habe mir unterwegs da schon ein schickes Teil bei Amazon ausgesucht, das werde ich demnächst bestellen.
An Strecken hat nahezu Alles, was mir die App ‘komoot’ vorgeschlagen hat tatsächlich auch Sinn gemacht. Es hat sich aber bewährt, regelmäßig auf den Plan zu schauen, ob der Streckenverlauf so plausibel aussieht, und ggf. mit den Routenvorschlägen, die Google Maps macht gegenzuchecken.
Einzig die Gegend unmittelbar vor und nach Eisenach war vom Fahren her RICHTIG EKLIG! Entweder fehlten die gesonderten Fahrradwege total, oder sie lagen so weit fernab der Straßen, daß kein Fremder sie finden kann. Und die Autostraßen, die dann noch “übrig bleiben” in diesem teils extrem hügeligen Gebiet werden sehr rege von PKW’s und LKW’s inklusive 40-Tonnern befahren. Falls der Raum Eisenach etwas für den Tourismus tun möchte, dann sollte er hier dringend nachbessern!
Die best-ausgebauten Fahrradwege fanden sich unter Anderem im Großraum Nürnberg – in Nürnberg-“Stadt” selbst verkehrt sich das jedoch in’s genaue Gegenteil. Auch im hohen Norden ist die Radwegesituation entlang der Landstraßen sehr erfreulich – fast überall ist da ein extra Streifen, sodaß man die gefährlichere Straße nicht mitbenutzen muß. Ja – und unter den großen Städten waren in München die Radwege defintiv am besten: Nicht gepflastert, sondern mit feinem Asphaltbelag – und mit an den Straßenauf- und Abfahrten schön glatt heruntergeschliffenen Übergängen.
Ich hoffe, meine Reisebeschreibung hat gefallen.
Allzeit Gute Fahrt!
Christian Lauw