Tag 16: Von Wolnzach nach München

Tag 16: Von Wolnzach nach München

Tag 16: Von Wolnzach nach München

Nach all den suboptimalen Erfahrungen mit meinem Hotel gestern Abend schaue ich, daß ich mich zügig schleich’. Obwohl ich `mit Frühstück´ gebucht hatte, suche ich lieber einen anderen Ort, um diesen Tag erbaulicher zu beginnen.

Ich finde ihn in Gestalt eines kleinen Ladens, der mir bereits auf der spätabendlichen Anfahrt gestern aufgefallen war. Dort verkaufen sie unter Anderem hochwertige Gewürze, Schokoladen, Spirituosen, Essigvariationen – und haben eine teuer aussehende, riesige italienische Espressomaschine hinter dem Tresen stehen. Ich werde nicht enttäuscht: Der Latte Macchiato (Kaffee von Dinzler) schmeckt super! Dazu gibt es einen Florentiner mit weißer Schokolade.

Weiter geht es mit der Besichtigung des “Deutschen Hopfenmuseums”, das Wolnzachs Innenstadt dominiert. Hier befinden wir uns im Zentrum des wichtigsten deutschen Hopfenanbaugebietes, doch im Museum lerne ich schnell, daß Hopfen früher – auch wegen dessen Leichtverderblichkeit – nahezu überall angebaut wurde – so auch in München, wo der “erste Stadtplan” vom Anfang des 17. Jahrhunderts in der Nähe des Sendlinger Tors einen Hopfengarten ausweist. Reisen bildet – auch über die eigene Heimat!

Dieses Museum hier ist eine extrem positive Überraschung. Als ausgebildeter Tourguide weiß ich aus einschlägigen Publikationen schon seit Jahren von der Existenz eines großen Museums zum Thema Hopfen in Wolnzach, aber ich hatte den “Pflichtbesuch”, den ich mir bei wichtigen Museum wegen meines Jobs normaler Weise auferlege in der Vergangenheit in dem Fall immer wieder hinausgezögert, denn unterschwellig war mein Gedanke immer wieder gewesen: “Hopfen? Was kann es zu so einem Thema schon Sehenswertes geben, daß man so etwas gleich ein ganzes MUSEUM widmet?”

Nun, ich wurde definitiv eines Besseren belehrt: Ich lerne, daß Hopfen früher ein sehr wichtiges Handelsgut war – so gewinnträchtig, daß in Spitzenzeiten in der Hopfenhandelsstadt Nürnberg gleichzeitig an die 400 (!) Hopfenhandelsunternehmen firmierten! Auch heute noch gibt es ganze Villenquartiere, die vom Reichtum jener Händler damals zeugen. Viele dieser Händler waren Juden, war doch diese Handelstätigkeit eine der wenigen Nischen, die ihnen die damalige, religionsintolerante “Christengesellschaft” noch ließ. Es ist eine Tragik, wie dann unter dem Nationalsozialismus die “Strafe” dafür erfolgte, daß jene jüdischen Händler ihre winzige Nische erfolgreich zu betreiben verstanden!

Die Ausstellung beleuchtet alle Aspekte nicht nur des Hopfenhandels, sondern auch des Anbaus – mit den verschiedenen Rankhilfesystemen, Beackerungs-, Pflege- und Erntemethoden, sowie des Hopfenzupfens, bei dem die Hopfendolde vom Rest der Pflanze gelöst wird. Es gibt in unseren Breitengraden keine Pflanze, die schneller als der Hopfen wächst – bis zu 30 Zentimeter am Tag! Auch das ist mir neu.

Während früher einzelne Bauern bis zu 50 Erntehelfer beschäftigten, wurde deren Arbeit zunehmend von Maschinen abgelöst. Das wiederum hatte soziale Konsequenzen, da etwa mit der Hopfenernte gesellige Feste verbunden waren, die somit teilweise wegfielen.

Es würde den Rahmen sprengen, alle Bereiche, die in dem Museum vorkommen hier vorzustellen – es sind so viele! Chemische Eigenschaften des Hopfens, Hopfen in der Klostermedizin, Genossenschaften und finanzielle Aspekte, Lagerung und Transport, das Bierbrauen wird auch kurz angeschnitten – und so weiter, und so fort. Mein Fazit ist: Wer auch nur ein breit gefächertes Interessensspektrum hat, und nicht einmal sonders an der Hopfenpflanze selbst interessiert ist, sollte sich dieses Museum unbedingt ansehen – und für den Besuch mindestens zwei Stunden mitbringen!

Außerhalb des Museums laufen gerade die Vorbereitungen des Bayerischen Rundfunks für eine Art Volkslauf, für welchen am darauffolgenden Tag 5000 Läufer erwartet werden. Drehkräne, Bühnen, Übertragungswägen säumen die Straßen. Und die auf den Boden gesprayten Markierungen für den Streckenverlauf begleiten mich noch einige Zeit nach Verlassen der Stadt.

Natürlich ist die Landschaft in der Folge stark geprägt vom Hopfenanbau: Überall die charakteristischen Konstruktionen aus kesselimprägnierten, in den Boden gerammten Holzpfählen, dicken Stahlkabeln, die all das Holz in aufrechter Position nach allen Seiten wie ein Zelt abspannen, und den abertausenden der daran abgehängten Drähte, an welchen sich von unten der Hopfen himmelwärts schlingt. Seit dem Museumsbesuch hat sich mir endlich auch eine seit Jahrzehnten offene Frage geklärt: Hopfen ist MEHRJÄHRIG! Eine individuelle Hopfenpflanze kann bis zu 50 Jahre alt werden.

Leicht “nervig” für mich ist die Hügeligkeit der Landschaft. Mitunter sind es ganz schön lange und mittelschwere Steigungen, nach welchen es aber wenigstens angenehm immer wieder “im Geiersturzflug” abwärts geht. Das geht so einige Zeit, bis ich in nicht allzu weiter Ferne die steil hochfahrenden Flieger vom Flughafen im Erdinger Moos am Horizont ausmache. Zu meiner Überraschung reichen die letzten Hopfenfelder südlich bis fast an die Stadt Freising heran. Wenn man die A9 von München kommend hoch gen Norden fährt, fangen dort meiner Erinnerung nach die ersten Hopfenfelder erst weitaus später an.

Zwischen den Feldern mache ich plötzlich ein sehr seltenes Wegkreuz aus: Es zeigt neben dem an’s Kreuz geschlagenen Jesus allerlei Gerätschaften nebst scheinbar “abgeschlagenen” Händen und Füßen. Seit meiner Reise weiß ich nun, wie der Fachbegriff für diese auf mich eher gruselig wirkende Sonderform des Kruzifixes heißt: Es handelt sich dabei um sogenannte “Arma-Christi-Kreuze”. Ich hatte eigentlich nicht vor gehabt, in meinem Blog so viel über Kreuze zu sprechen, aber die Reise hat mir dieses Thema sozusagen präsentiert.

Ungefähr zwölf Kilometer vor Unterschleißheim sehe ich linkerhand eine riesige Hühnerfarm. Die Hühner haben außerhalb ihres Gehegestalls eine gigantische Freilauffläche. So eine Große hatte ich zuvor noch nie gesehen. Das beeindruckt mich. Doch ich sehe, daß ganz schön viele der Hühner auch jenseits des Zaunes unter den Büschen picken. Wie mag es funktionieren, Abends diese hunderten Tiere wieder einzufangen? Ich beschließe, nachzufragen. Auf dem Hof treffe ich den Eigentümer. Er sagt mir, er müsse immer warten, bis es fast dunkel ist. Vorher hätten nämlich die Hühner keine Lust, in den Stall zu gehen (“ist ja schließlich noch was los,” ;-)). Dann aber laufen die meisten freiwillig nach drinnen. Nur ein paar einzelnen Hühnern gefällt es, außerhalb ihres Stalls irgendwo heimlich ein Nest anzulegen, und dort zu brüten. Die “kenne man aber”, und die muß man dann halt einzeln holen kommen. Befriedigt über die geschlossene Wissenslücke setze ich meinen Weg fort.

Wenig später fahre ich in einer schönen Landschaft an einem fast vollständig trockenliegenden, tief eingeschnittenen Flusslauf entlang. Das muß ein Kanal sein – ich nehme an, ein Nebenlauf der Amper. Wahrscheinlich wird irgendwo am Kanal gerade was ausgebessert, und darum hat man den Zulauf gesperrt. An einer Brücke mache ich Rast, und studiere die Karte auf dem iPad. Während ich so von der Brücke hinunterschaue, entdecke ich tief unter der sonst vorhandenen Wasserlinie einen aufgebrochenen Tresor. Diebe müssen ihn hier nachts entsorgt haben, um ihre Spuren zu verwischen. Neben dem schon stark verrosteten, sehr schwer aussehenden Korpus des Tresors liegt separat die abgerissene Tür. Offensichtlich ist der Tresor leer. Nicht weit von ihm entfernt fällt mir hingegen ein weiterer Gegenstand auf, für den ich in’s Flussbett hinabklettere: Es ist eine -verschlossene- Geldkassette! Leider klappert nichts verdächtig im Inneren, sodaß ich im Wesentlichen davon ausgehe, daß auch sie leer ist. Trotzdem schnalle ich sie auf meine Packtaschen, und liefere sie bei der nächsten Polizeistation ab, in Unterschleißheim.

Auch den Polizisten gelingt es eine viertel Stunde lang nicht, die Kassette zu öffnen. Sie wollen mich anderntags anrufen, um mich zu verständigen falls in der Kassette was drin war. Ein schöner Finderlohn für wertvolles Geschmeide oder einen kleinen Goldbarren wäre für den Abschluss meiner Reise doch eine feine Sache! 😉 Später erfuhr ich übrigens: Leider war die Schatulle, wie auch der Panzerschrank, leer. Macht nix – ein nettes Abenteuer war es allemal.

Nach Unterschleißheim fängt es sehr ekelhaft an zu regnen. Mir war das bereits mehrfach auf meiner Reise aufgefallen: Ist die Sonne weg, kommen mitunter geradezu polare Kälteströmungen dahergeweht! Teilweise wird es bis auf 11° Celsius kalt, und mein Atem dampft in der Luft. Eingepackt in Fleejacke, die Goretexjacke darübergezogen strample ich bis zum Schloß Schleißheim weiter, wo ich an der Schloßgaststätte mein Liegerad unter einem der großen Biergartenschirme abstelle und einen Schweinebraten esse. Weiter geht es am Flugfeld der Flugwerft Schleißheim auf einem wunderbaren Radweg entlang. Es wird dunkel, und zu meinem Verdruss stelle ich fest, daß die Beleuchtung vorne ausgefallen ist! Unter einem Baum im Trockenen versuche ich sie zu reparieren. Doch auch nach dem Auswechseln des Birnchens, und dem Rütteln an den Steckern geht nix. So fahre ich halt ohne Licht vorne weiter – was soll ich auch sonst machen? Jetzt muß ich halt noch mehr aufpassen, und so fahren, als sei ich von vorne für Andere unsichtbar.

In jetzt strömendem Regen passiere ich an der Panzerwiese das Ortsschild München. Gott sei Dank hat die große Bäckerei an der Leopoldstraße bis 23:00 Uhr geöffnet (andere, über diese Öffnungszeiten ebenfalls verdutzte Münchner, die sich nach mir in’s Trockene retten kommentieren das anerkennend mit “ihr seid’s ja verrückt!”. Ja – das Münchner Nachtleben hat sich verändert. Heute werden die Gehsteige überwiegend wieder früher hochgeklappt als noch vor zehn Jahren. Aber heute liegt das nicht mehr an katholisch/konservativ geprägten Sozialvorstellungen, sondern daran, daß die Münchner nachts einfach nicht mehr so viel ausgehen – wohl, weil das Geld nicht mehr so locker sitzt.

Ein Latte Macchiato und eine Kokosmakrone geben mir den nötigen “Kick” für die letzten fünf Kilometer.

Abschließendes Fazit zu etwa 800 Kilometern Deutschland: Dies war eine Tour, in der vor allem Überraschungen im Vordergrund standen. Definitiv einer der besten Urlaube meines gesamten Lebens, Thumbs Up!

Die interessantesten Gegenden erlebte ich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, sowie im hohen Norden.

An Equipment hat sich vor allem die Feuchtigkeit-abtransportierende Funktionskleidung sehr bewährt – und darunter insbesondere jene von Odlo, weil die nicht zum stinken anfängt. Definitiv wichtig für meine nächste lange Reise wird ein wesentlich stärkeres USB-Ladegerät mit mehreren Anschlüssen – für Handy, iPad, Bluetooth-Headset und Go Pro-Kamera. Ich habe mir unterwegs da schon ein schickes Teil bei Amazon ausgesucht, das werde ich demnächst bestellen.

An Strecken hat nahezu Alles, was mir die App ‘komoot’ vorgeschlagen hat tatsächlich auch Sinn gemacht. Es hat sich aber bewährt, regelmäßig auf den Plan zu schauen, ob der Streckenverlauf so plausibel aussieht, und ggf. mit den Routenvorschlägen, die Google Maps macht gegenzuchecken.

Einzig die Gegend unmittelbar vor und nach Eisenach war vom Fahren her RICHTIG EKLIG! Entweder fehlten die gesonderten Fahrradwege total, oder sie lagen so weit fernab der Straßen, daß kein Fremder sie finden kann. Und die Autostraßen, die dann noch “übrig bleiben” in diesem teils extrem hügeligen Gebiet werden sehr rege von PKW’s und LKW’s inklusive 40-Tonnern befahren. Falls der Raum Eisenach etwas für den Tourismus tun möchte, dann sollte er hier dringend nachbessern!

Die best-ausgebauten Fahrradwege fanden sich unter Anderem im Großraum Nürnberg – in Nürnberg-“Stadt” selbst verkehrt sich das jedoch in’s genaue Gegenteil. Auch im hohen Norden ist die Radwegesituation entlang der Landstraßen sehr erfreulich – fast überall ist da ein extra Streifen, sodaß man die gefährlichere Straße nicht mitbenutzen muß. Ja – und unter den großen Städten waren in München die Radwege defintiv am besten: Nicht gepflastert, sondern mit feinem Asphaltbelag – und mit an den Straßenauf- und Abfahrten schön glatt heruntergeschliffenen Übergängen.

Ich hoffe, meine Reisebeschreibung hat gefallen.

Allzeit Gute Fahrt!

Christian Lauw

Tag 15: Von Kipfenberg nach Wolnzach

Tag 15: Von Kipfenberg nach Wolnzach

Tag 15: Von Kipfenberg nach Wolnzach

Diesmal kann ich recht gut ausschlafen. Das Hotelzimmer ist wirklich sehr schön in einem ländlichen Stil eingerichtet – und dank meiner Essigessenz-Intervention gestern genieße ich die morgentliche Dusche unter einem angenehm breiten, sanften Strahl wohltemperierten Wassers. Beim Frühstück unterhalte ich mich mit den Tischnachbarn über die zurückliegende Fahrt. Auch sie wollen demnächst eine lange Fahrradtour machen, mit ihren Kindern. So meine Strecken rekapitulierend, stelle ich fest, daß die Gegend, die mir am meisten gefallen hat jene im Bereich der Lüneburger Heide war: Die liebliche Landschaft, die schönen, reetgedeckten Bauernhäuser, die freundlichen und unkomplizierten Leute.

Meine Tischnachbarn erzählen mir von weiteren Routen, weiter oben am Meer entlang. Ich ziehe ernsthaft in Erwägung, dies für einen meiner nächsten Urlaube zum Ziel zu machen.

Hoch über Kipfenberg prangt eine gut erhaltene Burg. Sie ist größtenteils im Privatbesitz und für Besucher gesperrt, doch in einem Seitenflügel befindet sich ein öffentlich zugängliches Museum über den Limes, der genau hier die Landschaft quert – sowie über die sehr zahlreichen archäologischen Funde, die hier in der Umgebung im Laufe der Zeit gemacht wurden. Unter Anderem ist dort die Grablegungssituation des sogenannten “Ersten Bayern” originalgetreu nachgebildet. Der relativ junge bajuwarische Krieger, dessen sterbliche Überreste hier ganz in der Nähe per Zufall gefunden wurden, wurde im 5. Jahrhundert mit reichen Grabbeigaben beigesetzt – unter anderem einem langen Schwert, wie es zu seiner Zeit in Mode war, und einem breiten, mit Beschlägen verzierten Gürtel.

Um zu diesem Museum hochzukommen, gilt es aber erstmal diesen Berg mit dem Radl hochzustrampeln. Mit ein paar Zwischenstopps komme ich nach nicht allzu langer Fahrt oben an. Zunächst statte ich aber dem nur vierhundert Meter entfernten geografischen Mittelpunkt Bayerns einen Besuch ab. Was für ein witziger Zufall, daß der erste uns bekannte Bajuware so nah am Mittelpunkt des heutigen Bayerns entdeckt wurde!

Dann das Museum. Es ist eine Außenstelle der Archäologischen Staatssammlung München. Im obersten Stockwerk befindet sich die kurios-“dilettantisch” zusammengetragene Museumssammlung eines Oberlehrers, der früher hier in der Gegend seine Wirkungsstätte hatte. Von Munition aus dem Ersten Weltkrieg über zerzauste, mit Nadeln aufgespießte Schmetterlinge, einen hölzernen Klapp-Rollstuhl, Volksempfänger und Tretnähmaschinen findet sich hier so Einiges, was vergangenen Zeiten entsprungen ist, didaktisch oder thematisch sonst aber kaum nachvollziehbar zusammengehört.

Anders der Rest der Ausstellung, die von den Profis des Münchner Mutterhauses geplant wurde. Besonders beeindrucken mich Urnen einer mir bis dato nicht bekannten frühzeitlichen Kultur, die in der Mitte der Urne gerne sogenannte Facettierungen anbrachte, d.h. die sonst runde Urne hat dort flache Flächen, wie bei einer Schraubenmutter. Diese Grundidee wurde bei einigen der aufgefunden Stücke nochmal variiert, indem diese Facetten in sich verwunden sind. Dieses Design sieht trotz des hohen Alters geradezu Science-Fiction-mäßig aus! Weiters schön: Die neu angefertigte Nachbildung eines zusammenfaltbaren Art Rund-Tischchens, mit dem im Museum eine Tempelsituation der Römer nachgestellt wird. So etwas hätte ich auch gern bei mir zu Hause, denke ich. Muß aber, da Handarbeit, sicher einige Tausend Euro kosten.

Am Ausgang kaufe ich mir dann noch etwas ganz Besonderes: Das Material, das man zum Feuerschlagen benötigt. Es stehen die von einem Schmied nach historischen Vorbildern gefertigten Stahlwerkzeuge aus unterschiedlichen Epochen zur Auswahl. Ich entscheide mich für die sozusagen “modernste” Version, wie sie ungefähr ab dem Jahr 1000 üblich war. Anders als bei seinen Vorgängern hat hier der Stahl einen Schutz für die Finger, damit man sich beim Funkenschlagen am Feuerstein nicht die Hand verletzt. Fortschritt! 😉 Ein Feuerstein komplettiert meinen Bedarf. Und obendrein erläutert mir noch die Museumsleiterin, wo in der Natur ich die restlichen, notwendigen Materialien zum Feuerstarten herbekomme (Rohrkolbensamen und Zunderschwamm), und wie ich diese Materialien handhaben und verarbeiten muß, um ein Feuer herzubekommen. Ich fühle mich wie am Anfang einer unerhörten Pioniertat. Großartig!

Weiter geht es, wieder am geographischen Mittelpunkt Bayerns vorbei in Richtung Ingolstadt. Die Ortschaften sind jetzt oft fade, und irgenwie trist. Langweiliges Vorstadt-Spießertum. Nur manchmal durchbricht ein besonders schönes Wohnhaus die Norm. Doch vermutlich wird es kein Ortsansässiger sein, der sich hier verwirklicht hat, sondern ein wohlhabender Städter, der sich hier in der Stille und Natur sozusagen ein Refugium vor dem Stress seiner Hauptwirkungsstätte geschaffen hat. Guter Geschmack ist hier definitiv Importware!

Unterwegs passiere ich einen Metzger, zu dem ich nach kurzer Erwägenspause wieder zurückkehre um mir eine Leberkassemmel zu kaufen. Jene schmeckt vorzüglich. Doch mein Hauptaugenmerk gilt einer Kuriosität an der Außenfassade: Dort hat der Metzger einen 24-Stunden Wurstautomaten mit integrierter Kühlung angebracht! Sauwitzig, und clever.

Die folgenden Kilometer bestätigen meine These von den unterschiedlich dimensionierten Kruzifixen in den verschiedenen Teilen Bayerns: Während diese, wie in einem vorangegangenen Post beschrieben in der Gegend um Bamberg riesengroß, mächtig und schwer ausfallen, komme ich jetzt allmählich in eine Gegend, in der die Kruzifixe meistenteils “klein” sind. An einem Feldweg finde ich eines, bei dem der Jesus von Kopf bis Fuß kaum dreißig Zentimeter misst! Bamberger würden so ein “winziges” Kreuz wohl kaum wahrnehmen. Unwillkürlich muß ich an den Begriff des “Jeserl’s” aus einem Polt-Sketch denken.

Ingolstadt beeindruckt einmal wieder mit den Gestank-Schwaden aus seiner Petrochemischen Industrie (seine Altstadt, und natürlich das Audi-Werk sind tatsächlich sehenswert – doch heute möchte ich nur durchfahren). Dieser Gestank muß doch je nach Wind auch in alle möglichen Wohngebiete wehen, denke ich mir. Ob dann die Anwohner klagen? Und wenn sie es tun – was passiert dann?

Heute hat es übrigens auch wieder fast den ganzen Tag über geregnet – aber diesmal nur noch leicht. Ich bin begeistert von dem Material meiner Funktionskleidung: Sobald der Regen aufhört, ist meine Laufhose binnen weniger Minuten absolut trocken – so gut verdunstet sie das Wasser! Für das Goretexjacken-/Liegeraddilemma habe ich jetzt ebenfalls eine Lösung gefunden: Ich schließe den Reißverschluss meine Jacke einfach im ausgezogenen Zustand, und streife sie mir dann “verkehrtherum” (also mit der Rückenseite vorne) über, wie einen Pullover. So kann beim Fahren im Liegen weder Wasser durch die Seitentaschen, noch durch den Reißverschluss reinlaufen! Funktioniert topp. Auch, wenn die Leute vermutlich denken ich sei bekloppt, wenn sie mich so damit herumlaufen sehen. 😉

Bis ganz nach München schaffe ich es heute noch nicht. Ich übernachte in Wolnzach, wo ich mir morgen eventuell noch das Hopfenmuseum anschauen möchte. Leider gehe ich diesmal bei der Buchung aus der Ferne einem “Internet-Blender” auf den Leim. Das Hotel ist mit knapp unter 60.- Euro auffallend “teuer” für seine Lage, sieht aber auf den Fotos ansprechend aus, weshalb ich das mal durchgehen lasse –  schwerer Fehler! Beim Eintreffen vor Ort geht das Elend los: Statt wie im Netz suggeriert ein `Haus mit Historie´ zu sein, strahlt es den muffigen “Charm” der 50er bis 60er-Jahre aus. Auch mein Zimmer riecht so, als sei es seit dieser Zeit nicht mehr gelüftet worden. Als ich deshalb das Fenster öffne, bläst mir ein Strahl nach schon viel zu lange nicht mehr gewechseltem Fritteusenfett stinkender Luft aus der Abluftanlage der Hotelküche direkt ins Gesicht!

Im Restaurant nun kann mir die Bedienung nichts zur Herkunft des von ihrem eigenen Haus angebotenen, speziellen Weißbiers sagen – und das im Zentrum des Hopfenbaus! Engagement und Begeisterung für den eigenen Beruf also ungefähr = Null.

Gut, mein Zimmer hat wenigstens eine Badewanne. Die lasse ich mir also gleich mal ein, und schon kurz nach dem Bad sinke ich in einen erschöpften Schlaf. Als ich wenig später disharmonisch aufwache, draußen ein lautes Gerumpel und Getöse: Die aus dem Zimmer über mir kommen augenscheinlich gerade besoffen vom Public Viewing des heutigen WM-Spiels zurück. Ich stelle fest: Die Wände sind “aus Papier”. Das Gequietschel der Matratze oben klingt in meinem Zimmer so laut, als würde es extra per Megaphon zu mir herunterübertragen! Und als sich endlich scheinbar alles beruhigt hat, stößt noch irgendwer einen schweren Gegenstand um. KA-TONK! Rumpelrumpelrumpel…

Der Blick auf die Uhr an der Wand sagt: 00:04. Zehn Minuten später zeigt er aber immer noch 00:04 an. In Wahrheit ist es irgendwo nach 01:00 – die Uhr ist stehengeblieben. Passt doch: Hier in diesem Hotel ist es nicht etwa “fünf vor Zwölf”, es ist hier bereits vier NACH Zwölf, um mal Einiges in Ordnung zu bringen!

Na, wenigstens wird mir morgen, auf der letzten Etappe, ein frühes Aufbrechen nicht sonders schwer fallen!

Tag 14: Von Nürnberg nach Kipfenberg

Tag 14: Von Nürnberg nach Kipfenberg

Tag 14: Von Nürnberg nach Kipfenberg

Das von mir eigentlich als “Ort der Erholung” gebuchte Motel One bietet mir diesmal eine gemischte Packung: Zwar sind Sauberkeit und ästhetischer Standard wie von Motel One gewohnt topp, doch um 08:30 Uhr weckt mich ein infernalischer Krach direkt vor meinem Erdgeschossfenster: Im Innenhof des Hotels wird gerade eine neue Holzterrasse angelegt – jetzt verdichtet irgendein Gärtner den Boden mit einem Rüttler. Ungelogen sind die Erschütterungen in meinem Bett spürbar! Auf der Habenseite ist somit ein Verschlafen erfolgreich verhindert. Und verschlafen hätte ich können – war ich doch bis fast 04:00 Uhr morgens damit beschäftigt, die Blogeinträge für die zurückliegenden zwei Tage zu verfassen. Es ist wirklich unfassbar, wie viel Zeit das Tippen, vor allem aber das Auslesen und Nachbearbeiten der verwendeten Fotos in Anspruch nimmt.

Von meinem Hotel am Rande von Nürnberg’s historischer Altstadt breche ich wenig später auf – zunächst in Richtung Zeppelinfeld. Diesen Nazi-Massenversammlungsort hatte ich nämlich bislang nur in Filmen und auf Fotos gesehen (vor allem Leni Riefenstahl – und der ikonische Clip, in dem nach dem Krieg die Amerikaner das riesige Hakenkreuz auf dem Dach in die Luft gesprengt haben). Das Reichsparteitagsgelände hatte ich zuvor bereits gesehen, doch heute bietet sich die Gelegenheit, auch durch den gigantischen Innenhof mit dem Fahrrad zu fahren. Als ich auf einer Informationstafel die Baupläne dieses unvollendet gebliebenen Großprojektes sehe, wird mir wieder einmal ein gravierender “Designfehler” des Naziimperiums sehr deutlich bewusst:

Da wurde ein monströses Hallengebäude hochgezogen, in das wenn ich mich recht erinnere über 100.000 Menschen hätten passen sollen, alle Ränge dieser Menschen auf einen winzigen Punkt in der Mitte ausgerichtet: Dort steht Hitler. Eine riesige Propagandamaschine also. Ein Bauwerk, das Jahrhunderte dort stehen würde. Doch was ist, wenn dem “Herz” (wenn dieser Begriff überhaupt in dem Kontext anwendbar sein sollte) dieser Maschine – Hitler – etwas passiert? Er alt wird, und es als charismatischer “Führer” nicht mehr bringt? Dann waren die unbeschreiblichen Mühen, dieses Bauwerk wie aus einer anderen Welt zu bauen komplett für die Katz’. Und daß es in jedem Fall so hätte kommen müssen ist auch klar. Es mag tausendjährige Reiche geben. Aber es gibt keine tausendjährigen Diktatoren.

Das alles hier hat etwas Bizarres. Am Rande des Innenhofes lagern unzählige der Quadratmeter-großen Granitplatten, mit denen auch die nahe Aufmarschstraße gepflastert ist (und die die Älteren unter uns auch noch vom Königsplatz in München kennen). Aus vergangenen Besuchen weiß ich, diese äußerst präzise gefertigten, eigentlich sehr “hochwertigen” Steine wurden von KZ-Sklaven gemacht, und viele, viele sind bei dieser Arbeit, die meines Erinnerns nach Teil des Konzepts “Vernichtung durch Arbeit” war, gestorben.

Später passiere ich die Aufmarschstraße – ebenfalls so ein hypnotisch wirkendes Gigantomanie-Ding – und gelange zum Zeppelinfeld. Ein Glück, daß ich mein Liegerad dafür habe, denn obwohl das hier alles tasächlich Teil einer einzigen Gesamtanlage ist, liegen die Entfernungen im Kilometerbereich, und ich hätte wenig Lust, für all das im Wesentlichen sinnentleerte Gedöns durch die relativ faden Landschaften zu tigern. Einzig “erfrischend” in alledem hier ist ein ebenfalls riesiger See, um den man irgendwie rum muß, um vom einen Ort zum Anderen zu kommen. Und auf diesem “Nazi-See” funkeln die Wellen genau so optimistisch und schön, wie sie es auf jedem anderen Gewässer auch täten.

Das Zeppelinfeld mit seinen Bauten versinkt, wie ich vor Ort gleich sehe, in einer beschleunigten Baufälligkeit: Schon vor Jahren wurden oben auf den Tribünen die Säulengänge abgebaut – wohl, weil ein Unterhalt “zu teuer” gekommen wäre. Dadurch, daß somit auch die Dachfunktion des Wasserableitens fehlt, wäscht das eindringende Wasser nun den Beton unter den Steintreppen aus. Zudem brechen überall Steinplatten. Netze zum Schutz vor herabfallenden Steinen und Holzbalken, mit denen man fehlende Felsplatten in ihrer Tragwirkung ersetzt sollen ein weiteres Zusammenfallen verhindern. Man spürt diese Doppelsinnigkeit, die an so vielen Orten des ehemaligen Nazi-Regimes zu finden ist: Einerseits sind das heute unerwünschte Plätze – materielle Hinterlassenschaften mit Entsorgungsqualitäten. Doch dann sind es auch Mahnmale, und deren wie auch immer gearteter Erhalt gehört zu den wenn auch oft als lästig empfundenen Pflichten des heutigen Staates.

Hinter dem Zeppelinfeld nehme ich mir die Zeit, endlich einmal wieder meine Fahrradkette mit Benzin zu reinigen, um sie danach neu mit Rohloff-Kettenöl zu schmieren. Die Ritzelrädchen sowie die Kettenumlenkrolle (Liegerad-Spezialbauteil) sprühe ich mit Ballistol ein.

Mann, das hat ‘ne Wirkung! Ich hatte ja die letzten Tage bereits den Verdacht gehegt, daß Staub, Schmutz und weggewaschenes Kettenfett die Reibung im Antrieb unnötig erhöht haben – aber daß es SO schlimm gewesen war, hatte ich mir echt nicht vorgestellt.

So geht es nun also wesentlich beschwingter weiter, gen Süden. Nürnbergs Radwegesituation bleibt im Stadtbereich absolut suboptimal: Blöde Pflasterung bildet regelmäßig den Untergrund, und üble Schlaglöcher und zu hohe Bordsteinkanten schlagen mir regelmäßig die Sitzplatte trotz Federung derb in den Rücken. Verlässt man wieder die Stadt, wird jedoch alles wieder gut – ja, es wird SEHR gut! Breite, und einzig und alleine für die Radwanderer angelegte Strecken aus feinkörnigem, und somit leichter zu befahrenden Asphalt ermöglichen ein zügiges Vorankommen. Eigentlich. Problem ist nur: Weil auf vielen Kilometern die “Landschaft” so ziemlich exakt gleich ausschaut (der für diese Gegend charakteristische Nadelbaumwald) kommt es einem so vor, als führe man im vom Hexenmeister verfluchten Zauberwald aus dem Buch Krabat: Ganz, als käme man auch nach “Stunden” der Fahrt stets zum selben Ausgangspunkt zurück!

Ebenfalls kaum der Erleichterung dient der Umstand, daß jetzt wieder die Steigungen anfangen. Hügel rauf, Hügel runter. Und das Ganze von vorne. Auf andere Radfahrer treffe ich kaum. Überhaupt, Thema ‘Radfahrer treffen’: Über Land sind dies deutschlandweit wenn, dann meist Rennradfahrer. Nachdem diese üblicherweise allein, fernab der Städte durch die Gegend zischen, möchte man meinen, daß die Begegnung mit einem Radfahrer-Kollegen ein begrüßenswertes Ereignis ist. Von meiner Amerikadurchquerung mit dem Motorrad her erinnere ich mich noch gut an den auch hierzulande praktizierten Brauch der Motorradfahrer, sich bei Begegnung mit einem Handzeichen zu begrüßen. Rennradfahrer aber kriegen das nicht hin. Selbst, wenn man laut und deutlich “Hallo”, “guten Morgen” oder sowas sagt, bleiben die oft stumm. Seltsam.

Zu meiner nicht eben knallermäßigen Stimmung heute (die sicher in erster Linie der nur viereinhalb Stunden kurzen Nacht geschuldet ist) trägt jetzt außerdem der Umstand bei, daß der Himmel zunächst einfach nur grau ist, und es dann aber auch noch zum Regnen anfängt. Nicht viel, zunächst. Aber viel genug, um für Pausen wenn, dann nur unter Bäumen anzuhalten – denn sonst regnet es auf die Rückenlehne, und ich bezahle beim Weiterfahren für die kurze Erholung mit einem nassen Hintern.

Ich hab’ keine Ahnung, wie ich die zweite Hälfte des Tages ‘rumbringe – es herrscht meist eher eine gewisse Tristesse. Architektonisch gibt die Landschaft jetzt weit weniger her als zuletzt in Thüringen: Fachwerkhäuser sind selten – und selbst wenn man mal durch einen historischen Ortskern fährt, dann sind die Fassaden selbst uralter Häuser meist mit perfekt rechtwinklig aufgebrachtem Putz “totsaniert”.

Ich passiere Greding, und sehe jetzt das so oft auf der nahen A9 schnell mit dem Auto durchfahrene trist-hässliche Tal einmal aus einer anderen Perspektive. Um die Stimmung zu heben, mache ich ein paar Fotos von einem schönen Sonnenblumenfeld am Rande der Straße (und bezahle für die Fotos  mit dem besagten nassen Hintern).

Schon in der Abenddämmerung sehe ich plötzlich eine auffällige, seltsame Ansammlung von alten Türmen und Mauern. Ein Schild weist darauf hin: Dies hier ist eine Wehrkirche! Ich hatte von so etwas schon mal gehört, es aber bis jetzt noch nie selbst gesehen. Wehrkirchen dienten früher dem Schutz und der Zuflucht der Bevölkerung und ihrem wichtigsten Hab und Gut im Falle von plötzlich angreifenden, feindlichen Truppen. Ich nehme mir die Zeit, stelle mein Rad zum Schutz vor dem Regen unter einen der Torbögen und sehe mir die Anlage an. Die Türme stehen heute unglaublich schief da. Sie haben mehrere Plattformen, und in den Mauern befinden sich Schießscharten, um von ihnen aus den Feind zu beharken. Dazwischen überall die Grabsteine des Friedhofs.

Jetzt fällt mir das erste Mal auf meiner Reise auf, was manche ja bereits (und offenbar nicht ganz zu Unrecht) beklagt hatten: Manche West-Städtchen sehen heute verwahrloster aus, als diverse teils fast flächendeckend renovierten Orte auf ehemaligem DDR-Terrain! So verrotten hier beiderseits der alten Wehrkirche uralte Häuser, die mit eingeschlagenen Fensterscheiben vermutlich auf ihren gnädigen Einsturz, oder Abriss wegen nicht mehr möglicher Sanierung warten.

Als Nachtquartier soll es diesmal irgendwas in Kipfenberg sein. Dort gibt es, wie Google mir anzeigt nämlich ein Limesmuseum. Und der geografische Mittelpunkt Bayerns liegt ganz in der Nähe. Als es – ich fühle mich bereits recht “fertig” – noch 7-8 Kilometer sind (und zudem, wie könnte es anders sein – wieder bergauf geht) gibt der Regen endlich so richtig Gas: In schönen Schnüren zieht er auf mich hernieder! Die Goretex-Jacke streicht darüber die Segel: Kaltes, ekliges Wasser dringt erst durch meine linke, dann auch durch die rechte Tasche in mein Unterhemd ein. Schließlich sogar noch durch den mittigen Reißverschlus!!! Oh Mann, wie DAS nervt!

Doch jetzt trete ich in die Pedale, nehme es als sportliche Herausforderung. Ungefähr gleichzeitig damit, daß ich bis in die Socken hinein total durchweicht bin, beginnen die Muskeln so viel Wärme zu produzieren, daß mir (fast) alles egal ist. Ich erreiche das Hotel, finde ein überraschend riesiges Zimmer vor (eigentlich ist es eher eine Wohnung – auf zwei Etagen, drei (!) Räume plus Bad, vier Betten), und nehme erstmal eine schöne, warme Dusche, anschließend trockene Klamotten ran an den Körper -toll! Leider ist der Duschkopf total verkalkt – das Wasser kommt wie kleine Messerstrahlen aus den wenigen noch nicht zugekalkten Düsen.

Kurzerhand montiere ich den Duschkopf ab, und bitte, bevor ich zu Abend esse das verdutzte Hotelpersonal darum, ihn geschwind in Essigessenz zu baden. So braust der Kalk munter im Essigbad, während ich schmackhafte Penne all’arrabbiata mit Speck esse – dazu Pyraser Schwarzbier – feine Sache.

Den Abend ausklingen lasse ich mit einer Premiere: Ich benutze erstmalig in meinem Leben unterwegs in einer Drogerie erworbenes “Rei in der Tube”, dessen bekloppte Werbejingle mir noch aus Kindheitstagen im Ohr hängt, um meine eh schon pitschnasse Funktionskleidung damit zu waschen. Überraschend einfach auszuwaschen, das Zeug. Stinkt nicht unangenehm oder so – und fast wider Erwarten sind alle meine Sachen schon am nächsten Morgen wieder wunderbar trocken! Zwischen den Wasch- und Spülgängen gehe ich immer wieder mal schnell rüber in’s Wohn-/Schlafzimmer, um am Fernseher zu verfolgen, wie in der Fussball-WM die Deutsche Nationalmannschaft quasi im Minutentakt gegen die Brasilianer Tore erzielt.

Was für ein ungewöhnliches Spiel!

Tag 13: Von Bamberg nach Nürnberg

Tag 13: Von Bamberg nach Nürnberg

Tag 13: Von Bamberg nach Nürnberg

Die Nacht ist eher hart: Ich wache x-mal auf, und trotz geöffnetem Fenster wird es in meinem Dachgeschoss-Zimmer im Hotel einfach nicht kühler – als sei die Heizung an! Ich träume tonnenweise Schrott, und als ich schließlich – noch immer etwas gerädert – aufwache, ist es bereits nach 10:00 Uhr morgens. Frühstück gibt es nur bis 10:30 Uhr, meine ich mich zu erinnern. Mist. Ich rufe bei der Rezeption an. Die versichert mir, daß ich auch, wenn ich a bisserl später runterkomme noch etwas kriege.

Frühstück (das im Übrigen sehr gut war) – und los! Ich begebe mich noch etwas auf “Bamberg-Entdeckungstour”, bevor ich die nächsten Etappenziele ansteuere. Bamberg’s historisches Zentrum ist stark vom Wasser geprägt: Verschiedene Flussarme durchziehen die Stadt, und versorgen noch heute zahlreiche, in historischen Häusern befindliche Mühlen. Man sieht die Mühlräder nicht, da sie hinter Holzkästen verborgen sind. Aber ich vermute, sie treiben heute Turbinen an, und dienen so der Stromerzeugung.

Ansonsten wird es a bisserl stressig mit dem Verkehr: An einer Ampel pennt eine ältere Frau vor mir mit dem Nachrücken. Da ich heute noch was vor habe, überhole ich sie schließlich. Als sie mich in der Folge wieder mit ihrem Auto erreicht, hupt sie aggressiv gleich mehrmals, wohl, weil sie es als “unverschämt” empfindet, daß etwas “so Geringes” wie ein Fahrrad es wagt, sie zu überholen, und sie nun ihrerseits mich “wahnsinnig schwierig zu umschiffendes Hindernis” zu umrunden hat. Was für eine Krise! Was für eine Zumutung!

Mir wird das aggressive Gehupe von der blöden Kuh zu viel, und ich zeige ihr den Mittelfinger. Solche Trottel habe ich selten auf meiner Tour erlebt – seit Hamburg höchstens fünf – und das bei aberhunderten Autos, denen ich begegnet bin. Unter’m Strich kein schlechter Schnitt.

Wenig später – immer noch in Bambergs Altstadt, biege ich vorbildlich an einer Straße mit abbiegender Vorfahrt ab. Ich gebe dabei vorsichtshalber sogar Handzeichen, damit der Groschen beim Gegenverkehr auch ja fällt. Eine Schnecke in einem mir entgegenkommenden (und Vorfahrt-gewährungspflichtigen) SUV fährt trotzdem einfach stur weiter wie ein Panzer, und hobelt mich mit ihrer überdimensionierten Karre dabei fast von der Straße. Dabei gestikuliert sie auch noch wild herum – ganz, als sei nicht sie, sondern ich es, der gerade die Vorfahrt missachtet! O_o

Wenig später, am historischen Altstadthafen Bambergs, lese ich Karten. Ein netter Kerl interessiert sich für Liegeräder, fragt mich nach meinem Rad. Wir unterhalten uns über Liegeräder und Bamberg – ich sage ihm, ich mag Bamberg. Tatsächlich gefällt mir die Lebendigkeit der Stadt, viele junge Leute, dabei offensichtlich ein unheimlicher historischer Reichtum. “Bloß mit den Frauen und dem Fahren gibt es hier wohl ein Problem”, sage ich ob meiner wohl eher zufälligen Erlebnisse sarkastisch, und halb im Scherz.

Wir trennen uns mit freundschaftlichen Grüßen, und ich beginne gemäß dem Vorschlag der App komoot, Nürnberg anzusteuern. Keine 15 Minuten später – ich umrunde gerade einen großen Kreisverkehr – macht es von schräg links hinter mir plötzlich einen Riesen Schepperer: Metall auf Asphalt! Ich kann nicht genau erkennen, was passiert ist, aber eine junge Frau liegt auf dem Boden. Ihr Fahrrad auch.

Ich zirkle um den großen Platz herum, um zu ihr zurückzukommen. Scheinbar hat ein junger Typ, der rechts abbiegen wollte, sie von links geschnitten, die sie selbst hingegen geradeaus hatte weiterfahren wollen. Sie ist mittelschwer an ihrem Fuss verletzt, und blutet an ca. fünf verschiedenen Stellen. Flipflops! Ich hasse diese Dinger. Jetzt habe ich ein weiteres Argument, warum.

Wie praktisch, daß ich extra vor der Reise meine Erste-Hilfe-Tasche durchgecheckt, das seit ca. 4 Jahren abgelaufene Desinfektionsspray gegen ein Neues ersetzt und um Sterilium-Händedesinfektion ergänzt habe. Von perfekt desinfizierten Amateurarzt-Händen kriegt die arme und unter leichtem Schock stehende Fahrradfahrerin schön Desinfektionsspray verabreicht, und einen Verband um ihren Fuß gewickelt, der meinen Erste Hilfe Kurs Lehrer sicherlich stolz gemacht hätte! ^^

Den jugendlichen Unfallverursacher hat die Gute in ihrer Verwirrung einfach weiterfahren lassen, ohne sich die Personalien zu notieren (“der musste schliesslich ganz schnell in die Schule kommen”). Egal. Zahlt die Krankenkasse so oder so. Ich warte noch, bis ihre telefonisch verständigte Arbeitskollegin erst das Fahrrad zur nahen Arbeitsstelle gebracht hat, und dann mit dem Auto zurückgekommen ist, um die Verunfallte damit abzuholen, und mit ihr zum Arzt zu fahren.

Weiter geht es. Die Strecken werden heute wieder sehr schön. Sooooooo lange, absolut profimäßig ausgebaute Fahrradwege – und wo es sie nicht gibt, stoße ich auf ein Kuriosum, das ich so bislang auch noch nicht gesehen hatte: Bundesstraßen/Landstraßen mit verbreitertem Randstreifen, extra für die Fahrradfahrer! So sind die sonst vielleicht 5-20 Zentimeter Asphalt neben der durchgezogenen Weißen Linie auf der rechten Seite der Fahrspur hier einfach 30-50 Zentimeter breit – später sogar bis ca. 1,50 Meter! Die Autos fahren trotzdem noch mit Vollgas an einem vorbei, und das ist latent furchteinflössend – aber man fühlt sich wesentlich sicherer, als auf den “normalen” Straßen, auf denen ich stets versuche so weit als möglich nach rechts zu kommen, um den fiesen LKW’s und potentiellen Mindestabstand-Ignorierern zu entgehen.

Wieder säumen regelmäßig Jesus-Kreuze den Weg.

Ich finde ein Einkaufszentrum mit DHL-Servicestation und Drogerie. Dort entsorge ich – wohl zum letzen Mal auf dieser Tour – ganze zwei Kilogramm Ballast via Versand an mich selbst: Ein Buch, das ich doch nicht lese. T-Shirts, die ich doch nicht trage (weil die Funktionswäsche besser ist), sowie allerlei unnützen Kleinkram. In der Drogerie kaufe ich zudem Feuerzeugbenzin, um damit meine Fahrradkette wieder schön sauber machen zu können.

Meine weitere Strecke wird teils begleitet von Relikten des alten Ludwigs-Kanals, eines antiken Großprojekts mit “Weltwunder”-Qualitäten (http://de.m.wikipedia.org/wiki/Ludwig-Donau-Main-Kanal). Oben zeigt ein Foto eines der alten Schleusenwärterhäuschen. Man beachte: Die schräge Linie rechts an der Fassade zeigt, wo früher der Damm des Kanals verlief. Dort, wo der Mofafahrer steht war einmal das Wasser!

In einer der kleineren Städte die ich passiere, sehe ich ein Geschäft nur für den Bedarf von denen, die zu Hause Bier brauen oder Wein keltern. Materialien vom Feinsten, und das für “Laien”. So etwas gibt es wohl auch nur in Franken!

Unterwegs finde ich einen leckeren Thai-Imbiss mit gefühlt 45% größeren Portionen als Kaimug, Yum2Take & Co. einem in München für’s Geld bieten. Es schmeckt super!

Weiter auf der Piste werde ich von ein paar Hardcore-Tourenradlern auf “normalen” Fahrrädern überholt. Der eine davon scheint sich gar nicht darüber einkriegen zu können, daß er gerade “so einen blöden Liegeradler” überholt hat – Futter für sein Ego. Ich überlege mir für einen Moment, ob ich die zwei etwas verbissen wirkenden Radler zum (unfairen) Duell fordern soll, doch erinnere ich mich dann an meinen Grundsatz für diesen Fahrradurlaub: “So schnell (oder langsam) fahren, wie es sich vom Wohlgefühl her für mich persönlich stimmig anfühlt.”

An der nächsten Ampel habe ich die Beiden trotzdem wieder eingeholt. Auf Dauer können die Normalradfahrer trotz gutem Material (Rohloff-Nabe & Co.) gegen die aerodynamischem Vorteile, die mein Liegefahrrad bauartbedingt bietet, nicht anstinken. Sie verschwinden bald irgendwo im Rückspiegel. Fühlt sich trotzdem irgendwie gut an, ich geb’s ja zu! Ha ha ha

Nürnberg naht, und mit ihm – obwohl ich mich hier im herrschaftsmäßigen Zentrum des an sich Fahrrad-affinen Frankens befinde, die fortwährenden Zumutungen für den Fahrradfahrer: Baustellen, die den Radweg ersatzlos streichen. Radwege, die einen willkürlich auf die Gegenfahrbahnseite umzuleiten versuchen (was will ich da?). Üble Bordsteinkanten, die viel zu hoch sind, um mit adäquater Reisegeschwindigkeit überquert werden zu können.

Nach einiger Zeit habe ich die Faxen dicke, und fahre nur noch auf der normalen Fahrbahn, zusammen mit den Autos.

Nach den eher durchwachsenen Übernachtungserlebnissen der vergangenen Tage entschließe ich mich heute für das Motel One am Plärrer. Bei Motel One weiß man einfach, was man bekommt – was Gutes! 🙂

Tag 12: Von Simmershausen nach Bamberg 

Tag 12: Von Simmershausen nach Bamberg 

Tag 12: Von Simmershausen nach Bamberg

Trotz anderslautenden Vorhersagen hält das Wetter. Zunächst wurschtle ich mich einige langgezogenen Hügel (indes mit mäßiger Steigung), und ziemlich ruhige Landstraßen entlang durch das grenznahe, “Fränkische” Thüringen. Plötzlich stoße ich auf einen Ort, dessen Geschichte ich noch von Anekdoten aus den Gesprächen mit den Simmershausenern vom Vortag im Hinterkopf hatte: Den heute stilliegenden ehemaligen Produktionsort des früher einmal weltberühmten Fridrichshaller Bittersalzes, gleichzeitig Abfüllort des Friedrichshaller Bitterwassers, das es heutzutage ebenfalls nicht mehr gibt.

Neoklassizistische Architektur, wie sie auch von König Ludwig dem Ersten (dessen Frau ja aus unmittelbarer Nachbarschaft stammte) hätte gebaut worden sein können, verrottet hier ungenutzt in der überregional unbekannten Pampas, im touristischen Nirgendwo. Traurig. Das Szenario wird umso trister und “perspektivloser” durch den Umstand, das manche der Anlagen heute als ein Heim für betreutes Wohnen genutzt werden. Im Vorbeifahren sehe ich einen alten Mann, der Zeitungen aus einer Altpapiertonne holt, um sie neben der Mülltonne zu lesen. Wie “in einem anderen Film”, das alles…

Interessant ist an den ehemals sicher sehr schönen und stolzen Bauten, daß sie vom Sockel aufwärts allmählich kaputtgehen – der Sandstein zersetzt sich, und wird tatsächlich wieder zu Sand! Das dürfte nach meinem Dafürhalten mit dem Produkt zu tun haben, mit dem hier über hundert Jahre lang hantiert worden war, und von dem sicherlich einiges auch auf den Boden getropft, oder über Versickerung aus undichten Leitungen in die Mauern aufgestiegen war: Das salzhaltige Wasser!

Neben einem der zahlreichen Funktionsbauten entdecke ich ein altes, geborstenes Holzfass, in dem ein abgestorbener Ast steckt. Sehr symbolträchtig.

Wenig später passiere ich die ehemalige Deutsch-Deutsche Grenze das zweite Mal auf meiner Radtour. Diesmal kein bombastisches, braunes Hinweisschild am Straßenrand wie zuletzt, sondern lediglich eine kleine, aber sehr informative Tafel, die anhand von Zeitungsausschnitten und Augenzeugenberichten die Ereignisse von Ende 1989 wiederaufleben lässt, und die mich vor Bewegtheit etwas weinen lässt.

Hier war kein großer Grenzübergang gewesen, der einfach nur geöffnet werden musste – stattdessen waren jahrtausendealte Wege, die der Todesstreifen einst jäh durchschnitten hatte, ganz von Neuem wiederzueröffnen.

Auf den Zeitungsausschnitten ist gut das Ringen der Menschen mit der Bürokratie Ost-, wie auch Westdeutschlands von damals nachzulesen:

Zunächst weigerte sich der zuständige ostdeutsche Grenzoberste, sein OK zur Grenzöffnung an dieser Stelle zu geben, obwohl andernorts die Grenzpassage längst möglich war. Später gab er an, er und seine Leute “wären nicht sicher gewesen, ob in dieser Gegend nicht noch Minen verstreut seien”. Als dann die Genehmigung vorlag, hatte der Osten hingegen keine Mittel für den Bau einer Straße rüber über die Grenze – und die Behörden im Westen weigerten sich, “im Ausland zu arbeiten” – unglaublich, diese Kleinkariertheit, aus heutiger Warte!

Eine private (West-) Firma sorgte schließlich in einer möglichst unauffällig durchgeführten “Guerilla-Aktion” für Abhilfe. Einfach großartig! Helden!

Übrigens zeigt das gelbe Kreuz oben in den Fotos den genauen Ort der Ländergrenze auf dem Asphalt zwischen Thüringen und Bayern an.

Nach der Grenze plötzlich eine fränkische Stadt – Seßlach – mit einem heute etwas bizarr anmutenden Brauch: Das Städtchen, das noch heute komplett von seinen mittelalterlichen Mauern umgeben ist, schließt immer am Wochenende seine schweren Stadttore. Dann kommt kein größeres Fahrzeug mehr raus oder rein in die Stadt.

Für mich friedliebenden Liegeradler, der ich offenbar keine ernstzunehmende Bedrohung des Seßlacher Wochenendfriedens darstelle, ist jedoch eine geradezu winzige Durchfahrt auf der Seite des großen Tores (nicht im Bild) offen.

Die Durchfahrt ist extrem niedrig, sodaß man sie wahrscheinlich im Mittelalter schnell mit Felsbrocken oder Ähnlichem hätte unpassierbar machen konnte.

In Seßlach ist gerade Kirwa, oder wie auch immer man das im Fränkisch-sprachigen Raum nennt. Ein kleines Karussell rotiert auf dem Marktplatz, und man kann sein Talent als Schütze an einem Tonröhrchen-Schießstand unter Beweis stellen.

Mich aber zieht es zu den Restaurants. Nach einem kurzen Abchecken der Wirtshäuser vor Ort entscheide ich mich für den Biergarten des `Roten Ochsen´. Eine weise Entscheidung, wie sich herausstellt, denn der Sauerbraten dort zählt zu den besten, die ich je gegessen habe – und das Bier wird selbst gebraut (Franken halt ;-)). Ich lasse mir daraus ein Radler machen.

Witziger Weise hat das Bier farblich einen leicht rötlichen Einschlag. Wie der Ochse.

Gestärkt (oder geschwächt, wie man’s nimmt) von dem tollen Essen ziehe ich weiter.

Etwas, das mir hier in Franken sehr stark in’s Auge springt ist ein augenscheinlich extremer katholisch-religiöser Einschlag, der ohne Weiteres alles übertrifft, was ich daran schon aus den oberbayrischen Gegenden kannte, die ja, was das betrifft, ebenfalls keine Leisetreter sind:

Überall hier trifft man auf Kreuze, von denen manche auch nicht so extrem alt sein können, da sie aus Beton gefertigt wurden. Anders als die oberbayerischen Wegkreuze aber, die man ab und an in der Landschaft findet sind diese Kreuze hier oft an die drei Meter hoch, und finden sich auch in Städten und ganz normalen Wohngebieten!

Vermutlich sind sie aber an traditionellen Wallfahrt- oder Prozessionswegen platziert. Einer der Orte, die ich durchquere hat sogar den Spleen, daß an gleich mehreren alten Häusern vor einem Fenster im ersten Stock eine große, reich verzierte Glasvitrine mit einer Marienstatue darin hängt.

Eine Ortsansässige bestätigt mir wenig später, daß die Franken sehr katholisch, und sehr religiös waren, – und sind!

Die Bestätigung dafür erhalte ich in Form eines Dorfkerns, in dem die alte Dorflinde, die Schwengelpumpe, die Säulen des Pumpenhäuschen und einiges mehr in der Machart des sogenannten “Urban Knittings” dreidimensional umhäkelt sind. Was das an Zeit gekostet haben mag! Ein örtlicher Kirchenkreis war das, und er versucht damit Spenden für die Innensanierung der uralten Dorfkirche aufzutreiben.

Die Strecken sind heute wieder sehr schön: Entweder ruhige Landstraßen mit gutem Belag, oder gleich bemerkenswert professionell ausgebaute Radwege, an denen einzig die korrekte und Orientierungsfehler nicht zulassende Beschilderung dann und wann zu wünschen übrig lässt. Dann (die Lautsprecheransage von meinem iPad zeigt das durch den Spruch “Die Tour wird angepasst” an) ist mein Ritual immer gleich:

Stehenbleiben, Rad abstellen, mein iPad von den Packtaschen nehmen, auf denen ich es mit der laufenden App komoot unter den Expandern festgeschnallt habe. Dann Kartenstudium. Der Luxus meines Reiserades ließe sich fast nur noch mit einem auch während der Fahrt ablesbaren iPad noch weiter steigern. Ich bin aber mit dem Ist-Zustand bereits sehr zufrieden.

Meine These ist ja, daß eine regionale Fahrradkultur (oder deren Fehlen) das Radwegenetz (oder dessen Abwesenheit) prägt. Die Franken fahren augenscheinlich sehr gerne Rad, denn die Radwege hier sind schlichtweg der Wahnsinn, und stellen alles in Schatten, was ich zwischen Hamburg und hier gesehen habe: Topp-Beläge, schnurgerade Strecken, teils entlang vorhandenen Schnellstraßen, sodaß man zügig auch weiter entfernte Ziele ohne unnötiges Gedöns erreichen kann.

Als ich zwischen zwei solchen Fern-Radrouten gerade eine Vorstadt Bambergs durchquere, sehe ich beim Einbiegen in eine Seitenstraße eine junge Frau, die sich um irgendwas kümmert, das sich am Boden befindet, ihr Freund steht dabei hinter ihr. Nachdem sie nicht gleich wieder aufsteht, um einen Gegenstand aufzuheben, kann es sich fast nur um ein Tier handeln, denke ich mir.

Interessiert bleibe ich stehen, und frage, was da los ist.

Stellt sich heraus, sie hat ein paar junge Vögelchen entdeckt. Diese sind wohl noch nicht zu so ganz 100% flügge, einer wurde augenscheinlich bereits vor einiger Zeit auf der Straße platt gefahren, die Tiere sehen unterschiedlich geschwächt aus – und von den Eltern fehlt jede Spur.

Wir beraten, was zu tun ist. Ich erinnere mich an ähnliche Fälle aus München, aber hier kenne ich die “Infrastruktur” für solche Angelegenheiten nicht. Erstmal die genaue Lage sondieren: Die junge Frau hat insgesamt drei Vögel gesehen, ich schlage vor, wir sammeln sie ein und legen sie an einen Platz, damit wir das alles besser im Griff haben. Ich selber finde auf der anderen Seite der Kreuzung noch zwei weitere kleine gelb-grüne Vogelbabies. Eins davon ist noch sehr vital. Er piepst panisch und versucht, davonzuflattern (mehr als bodennahes Fliegen geht noch nicht) doch es gelingt mir, auch ihn einzufangen.

Dann recherchiere ich auf die Schnelle, was es hier in der Gegend für in Frage kommende Dienste gibt. Tierheim ist da nicht unbedingt die erste Wahl – die kümmern sich mitunter nicht um Wildtiere, und hätten auch teils nicht das Personal und die Zeit, 24 Stunden am Tag Tierbabies zu betreuen und zu füttern.

Doch ich finde über Google unter dem Stichwort “Vogelmutter” schonmal einen Zeitungsartikel mit dem Namen einer Frau. Deren Namen weiter gegoogelt: -Angerufen. Geht niemand ran. Schließlich finde ich eine Wildtierhilfe in Bamberg, die sowas macht. Das nette Pärchen wird entsprechend gebrieft, die telefonieren mit der Wildtierhilfe, die Vögel landen in einer großen Papiertüte, und ab geht’s mit ihnen zur Rettung!

Mir hat indes einer der kleinen Piepmatze in meinen Fahrradhelm gekackt, in dem ich die fünf Tierchen vorübergehend eingesammelt hatte. Eine nahe Handpumpe (seit Thüringen sehe ich die hier fast überall) ist defekt, und so suche ich nach einer anderen Möglichkeit, meine Kopfbedeckung zu entkoten.

Fündig werde ich einige Kilometer weiter, an einer Industriehalle, neben der Leute an Biergartentischen sitzen. “Muss eine Betriebsfeier sein oder sowas”, denke ich bei mir. Doch weit gefehlt: Dieser eher technisch aussehende Bau ist eine weitere Kleinbrauerei mit angeschlossenem Restaurant – ein Mann, der sonst bei einer Firma für Brauereitechnologie arbeitet hat sich damit einen Lebenstraum erfüllt!

Wie cool ist es eigentlich, was ich zufällig alles für besondere Orte auf dieser Reise finde! Freundlicher Weise gibt man mir gleich Spülmittel für meinen Helm, und ich mache ihn auf der Toilette im Waschbecken damit wieder schön sauber.

Danach freilich möchte ich jetzt aber auch das Bier probieren – dazu gibt es geräucherte Wurst, Brot und Meerettich – alles hausgemacht, wie man mir versichert, und alles in der Tat von erlesener Qualität.

Schließlich darf ich mir das Herz der Anlage – die Brauerei samt Kühlräumen – ansehen.

Krasser könnte der Kontrast zum Jahrhunderte alten Brauhaus in Simmershausen, in dem ich nur einen Tag zuvor gestanden hatte kaum ausfallen: Hier ist alles so sauber und “technisch aussehend”, daß man in dem Raum vermutlich auch eine Gehirn-OP unter Reinraumbedingungen durchführen könnte. Die Kühlsilos (oder wie man das nennt) sind aus Hohlkammer-Edelstahl im Sandwichverfahren gebaut, und die gesamte Anlage ist computergesteuert – gerade läuft das vollautomatische Reinigungsprogramm.

Was momentan passiert, ist auf einem großen Monitor in der Mitte abzulesen. Und trotz all diesen Unterschieden sind sich die Braumeister so ähnlich, in ihrem hingebungsvollen Einsatz für ihre Passion!

Wieder einmal durch unvorhergesehene, aber alles andere als unwillkommene Vorkommnisse in meinen Tageskilometervorstellungen “zurückgeworfen”, erreiche ich in der Abenddämmerung den Stadtrand von Bamberg.

Zunächst durchquere ich eine ghettoähnliche Gegend, und denke mir “um Gottes Willen – ist Bamberg SO hässlich?!?”

Doch dann weichen die willkürlich verstreuten Industriebauten, Halb-Ruinen und Brachflächen endlich kleineren, interessanten Häuschen aus der ferneren Vergangenheit. Plötzlich stehe ich vor einer Informationstafel eines eigens zu dem Thema “Stadtgärtner Bambergs” gestalteten Museum (das indes leider für heute schon zu hat). Ich hatte das zuvor nicht gewusst, aber bis vor nicht allzu langer Zeit gab es relativ zentral in Bamberg gelegen viele kleinere/mittelgroße Gärtnereibetriebe, die für Bamberg eine beträchtliche Wirtschaftsmacht darstellten:

Durch die Tafel erfahre ich, daß insbesondere der Handel mit der Süßholzwurzel (wir kennen alle das berühmte Produkt Lakritze, das aus ihr gemacht wird [welches mir indes ÜBERHAUPT NICHT SCHMECKT ;-)]), sowie überregional und sogar in England für seine Hochwertigkeit bekanntes Saatgut Bamberg’s Gärtnern viel Wohlstand brachten.

Das ganze mich umgebende Viertel ist nach wie vor geprägt von dieser Zeit: Überall süße kleine Häuschen, liebevoll oft mit floralen Stuckmotiven verziert, dazwischen die Grünflächen, die freilich heute nicht mehr so stark bewirtschaftet werden. In den Fassaden dieser Häuser überdimensionale Toreinfahrten: Sie waren sicher für die Fuhrwerke, mittels derer die Gärtner ihre Produkte früher ausfuhren.

Übernachtung im nahen “Hotel National” aus der Zeit von Prinzregent Luitpold.