Tag 11: Von Bad Salzungen nach Simmershausen

Tag 11: Von Bad Salzungen nach Simmershausen

Tag 11: Von Bad Salzungen nach Simmershausen

Dieser Tag war so in etwa der Prototyp des schönen Radlausflugs: Sehr oft ruhige, wenig befahrene Straßen in der Natur, viele Entdeckungen.

In diesen Gegenden hier finden sich auffällig viele Erdkeller zur Vorratshaltung – oben auf dem Foto zu sehen sogar mit schicker Fassade. Könnte so auch im Shire aus ‘Herr der Ringe’ stehen.

Unterwegs sozialistische “Helden der Arbeiterklasse”-Verehrung, und vereinzelt (dies ist aber mittlerweile eine Ausnahmeerscheinung geworden) leerstehende Villen, erbaut klar vor der DDR-Episode.

Gleich nach Bad Salzungen erfreue ich mich einige Zeit am hochwertigen Werratal-Radweg, der jedoch im Verlauf des Tages Landstraßen weicht.

Diesmal aber liegt komoot ziemlich richtig: Obwohl eine Straße etwa für Autos gesperrt ist, bietet sie eine optimale Querung eines Höhenzuges, hinter dem viele Kilometer herrliche Abfahrt warten.

Als ich gerade am Straßenrand meine Karten im iPad studiere, hält eine nette Frau und fragt, ob ich Hilfe brauche. Von ihr erfahre ich einiges über die Gegend hier – und, daß sie selbst auch Radtouren macht, vor allem aber zu Fuß Pilgerreisen unternimmt – zuletzt 800 Kilometer binnen 30 Tagen! Wow.

Einige Dörfer später möchte ich wirklich mal eine Erfrischung zu mir nehmen, doch Dorfgaststätten sind hier selten. Einen Einheimischen frage ich, ob er mir was empfehlen kann, das auf meiner Route liegt. Er nennt mir ein russisches Lokal ein, zwei Dörfer weiter. Dieses finde ich dann zwar nicht, aber ich fahre zufällig an einer kleinen Festgemeinschaft in Simmershausen vorbei.

Sie weihen gerade den gemeinsam errichteten Dorfspielplatz ein.

Ob ich Hunger habe, fragen sie. “Jawohl!” ^^

Simmershausen ist ein herausragend malerisches Dörflein mit Fachwerkhäuschen an Fachwerkhäuschen. Als ich beginne, zu dem Thema Fragen zu stellen, werde ich gleich an den Dorfhistoriker verwiesen, der natürlich auch am Tisch sitzt.

Wir unterhalten uns ausgiebig über die Geschichte des Ortes, die lokaltypische Architektur, die Kultur und Sprache: Das hier sind Thüringische Franken! Zuvor hatte ich gar nicht gewusst, daß es sowas überhaupt gibt. Wenn sich die Einheimischen untereinander unterhalten, verwenden sie einen sehr eigenen Dialekt, und obendrein existiert hier augenscheinlich eine in manchen Dingen vom Hochdeutschen abweichende Grammatik.

Ich lerne, daß die Ehefrau unseres Bayerischen König Ludwig des Ersten hier ganz aus der Nähe stammte.

Irgendein Stichwort eröffnet dann das Thema Bierbrauen. Hier gibt es doch tatsächlich noch ein gemeinschaftliches Back-, wie auch ein hunderte von Jahren altes Brauhaus! Dieses wollte sich ein in der Nähe ansässiges Freilichtmuseum unter den Nagel reißen, doch die Dorfälteren legten sich umgehend quer. Stattdessen wurde einer einer aus der jüngeren Generation abkommandiert, extra zu einem Nachbardorf zu fahren, um dort das Bierbrauen neu zu erlernen.

Und so wird im Ort die Bierbrau-Tradition wiederaufgegriffen, die während der DDR-Jahrzehnte offenbar aufgrund eines Verbote vorübergehend vollständig zum Erliegen gekommen war.

Nun brauen die Simmershausener wieder zweimal im Jahr ihr Bier, wie bereits seit Jahrhunderten. Der “Braumeister” selbst zeigt und erklärt mir eingehend die alten Gerätschaften im liebevoll restaurierten Fachwerkhaus! Sehr spannend!

Schließlich fahren wir noch zu den am Ortsrand, versteckt unter Kastanien gelegenen Bierkellern!

Unscheinbare Türen im Hang führen über Sandsteintreppen hinab in wirklich außergewöhnlich kalte Felshöhlen, die im oberen Bereich noch gemauert, weiter unten aber direkt mit Meisseln über die Jahre hinweg in den massiven Fels getrieben worden waren.

Für meine weitere Reise kriege ich eine Zwei-Liter-Flasche Selbstgebrautes anvertraut. Für die Nacht finde ich in der Pension gleich neben dem neuen Spielplatz Quartier. Sehr faszinierend, diese Reise!

Tag 10: Pause in Bad Salzungen

Tag 10: Pause in Bad Salzungen

Tag 10: Pause in Bad Salzungen

Wie schon am Vorabend in Erwägung gezogen, entschließe ich mich zu einem Erholungsstopp im schönen Thüringischen Kurstädtchen Bad Salzungen.

Mein direkt am Burgsee gelegenes Hotel (Haus Hufeland) wird unter den schattenspendenden Bäumen ringsum von einem angenehm kühlen Wind umweht an diesem sonnigen Tag.

Ich leide immer noch an meinem Sonnenbrand. Deswegen ist eine meiner ersten Aktionen an diesem Tag, in der nahen Sporthandlung Kleidung zu holen, die mich vor der Sonne schützt. Es wird eine Adidas Laufhose (“lang”) und ein Odlo-Unterhemd, ebenfalls die kompletten Arme bedeckend.

Als Nächstes hole ich mir bei Rossmann Sonnenbrand-Creme, und balsamiere die geschädigten Körperpartien damit ein.

Als weitere Unternehmungen bringe ich meine schmutzigen Kleidungsstücke zu einer Reinigung, die mir die nette Hotelrezeptionistin empfohlen hatte. Man sichert mir zu, daß alles bis Abends fertig wird. 1A Service hier!

Nächstens besuche ich das Gradierwerk.

In einem Gradierwerk wird Sole, d.h. salzhaltiges Wasser, in seinem Anreicherungsgrad erhöht. Früher machte man das unter Anderem mit Siedepfannen. Allerdings gab (und gibt) es alternativ dazu auch diese Häuser, in denen nonstop von oben Sole über meterdick aufgetürmte Zweigpakete (ich glaube, von Schwarzdornbüschen) herunterrieselt.

Ursprünglich diente diese Konstruktion der Salzernte: Auf der hohen Oberfläche der Zweige verdunstete das Wasser besonders schnell, wobei das Salz auf der Oberfläche der Zweige zurückblieb, von wo irgendwann die Kruste heruntergebröselt werden konnte, und man das fertige Salz in Händen hielt.

Irgendwann bemerkte man dann aber, daß die Knechte, die im Gradierwerk (so nannte man sowas) arbeiteten, sich stets einer außergewöhnlich guten Gesundheit erfreuten.

Die Kur im Gradierwerk war geboren, und erfuhr im Laufe der Jahrhunderte immer weitere Verfeinerungen.

So kann man in Bad Salzungen sowohl entlang der oben beschriebenen Salzzweige wandeln und die gute Luft, die dort herrscht einatmen. Oder aber man geht in einen Raum, in dem Sole über ganz feine Düsen in die Luft gesprüht wird. Oder man inhaliert die Sole über einen Ultraschallvernebler. Oder man nimmt Rachen- und Nasenduschen mit dem Solewasser.

Ich merke gleich, daß mir all das sehr gut tun würde. Ich habe nämlich ständig irgendwelche Problemchen mit den Bronchien und Nebenhölen – Allergien, Atemprobleme etc. – und all das hier setzt genau dort an, und tut dies auf nebenwirkungsfreie, natürliche Weise. Leider habe ich keine Zeit für eine längere Kur, aber ich genieße diesen besonderen Tag.

Ich nehme noch eine entspannende Massage, die mir gut gegen die etwas schmerzenden Muskeln von den letzten Tagen hilft, hole gerade noch rechtzeitig vor Ladenschluss meine perfekt gereinigte Wäsche ab, und bereite mich auf den morgigen Tag vor.

Tag 9: Eisenach nach Bad Salzungen

Tag 9: Eisenach nach Bad Salzungen

Tag 9: Eisenach nach Bad Salzungen

Eisenach liegt direkt an einem relativ steilen Höhenzug. Schon wenige Minuten nach Abfahrt bei der Pension muß ich in den kleinsten Gang schalten. Sowohl Google Maps als auch die App komoot schlagen mir als Route eine Bundesstraße vor. Sie ist den Berg hoch ziemlich schmal, kurvig, und sehr rege befahren. Dies nicht nur von PKW’s, sondern auch von zahlreichen LKW’s. Manche davon überholen rücksichtsvoll und in großem Abstand, andere rasen mit ihren 40-Tonnern wie die Gestörten nur etwa einen Meter neben mir vorbei, sodaß ich mich schimpfend mehr als einmal auf den Grünstreifen rette. Gerade bergauf, wo es kaum schneller als in Schrittgeschwindigkeit voran geht, ist diese Strecke für Radfahrer der pure Stress!

Der am Helm befestigte Rückspiegel leistet mir hier sehr gute Dienste, indem er vor sich von hinten nähernden Fahrzeugen im Allgemeinen, und vor zu nah überholenden Idioten im Speziellen warnt, was es mir ermöglicht, ggf. noch zu reagieren.

Sehr langsam geht es auf der steilen Strecke voran. Nach einiger Zeit habe ich den Hauptscheitelpunkt der Strecke erreicht. Ich mache dort im Schatten großer Sonnenschirme an einem Imbiss Pause, und hole gemütlich die Fotoauswahl, die Fotobearbeitung und das Schreiben der Texte für die zurückliegenden beiden Tage nach.

Leider lösche ich dabei unabsichtlich einen Text, an dem ich über eine Stunde geschrieben hatte – eine weitere Nervenprobe.

Währenddessen versorge ich mich am nahen Imbisstand mit leckerer original Thüringer Rostbratwurst – natürlich auf Buchenholzkohle gegrillt, wie sich das gehört, sowie ergänzt um den lokaltypischen Senf, der etwas anders schmeckt als die Variationen, die es in Bayern üblicher Weise zu kaufen gibt. Dazu gibt’s Radler – so lässt es sich aushalten.

Trotzdem bin ich die ganze Zeit über nervlich etwas gereizt: Ich leide nach wie vor unter dem Sonnenbrand, den ich mir vor ein paar Tagen zugezogen hatte, und der durch weitere Streckenkilometer unter der Sonne auch nicht unbedingt besser wird – andererseits will ich weiter kommen – eigentlich wäre das nächste naheliegende Ziel von der Entfernung her Meiningen, doch das sind noch etwa 30 Kilometer.

So vergehen an dem Rastplatz die Stunden – das Arbeiten an den Blog-Artikeln und an den Fotos macht zwar Spaß, frisst aber die Zeit, und lässt das Ziel Meiningen zunehmend unrealistisch erscheinen. Schließlich schließt der Imbiss, und auch ich beginne meine Sachen einzupacken. Ein Radfahrer aus der Region taucht auf, der darauf spekuliert hatte, daß der Imbiss noch offen hat. Wir unterhalten uns kurz über die Radwege-Situation hier. Er empfiehlt mir für den Fall, daß ich nicht bis Meiningen durchfahren will die Stadt Bad Salzungen für mein Nachtquartier.

Es geht weiter. Unterwegs stoße ich noch auf eine ehemalige Schlossanlage, die auf ein Jagdrevier des Adels zurückdatierte, dann jedoch unter der DDR ziemlich verfallen war. Jetzt hat sich eine Thüringer Stiftung für Schlösser der verschiedenen, baufälligen Gebäude angenommen – überall wird renoviert, und teilweise rekonstruiert. Ein ganz eigenes Flair, diese ganzen alten Kulturorte im Dornröschenschlaf der DDR-Vernachlässigung!

Es folgen noch ein paar Steigungen – immer begleitet von dem nervtötenden Überholverkehr auf der engen Straße – doch dann endlich beginnen auch die Abfahrten – und was für welche! Das ist einer der Vorteile der Liegeräder: Bergab wirken sie nicht wie Bremsfallschirme, sondern wandeln den Abbau der zuvor erarbeiteten Höhenmeter effizient in immer höhere Geschwindigkeiten um. Mit wohl 70-80 km/h geht es zu Tal, und trotz Sonnenbrille tränen mir die Augen vom Fahrtwind, der mir mitunter sogar das Atmen erschwert – es ist einfach nur gigantisch!

Jetzt verlasse ich meine Spur rechts am Straßenrand, und beziehe Position in der Mitte der rechten Spur. Bei so hohen Geschwindigkeiten wäre ein präzises Einhalten des Abstandes zum Straßengraben sonst zu schwierig. Kein Problem, denn wie ein Blick in den Rückspiegel zeigt, fehlt von noch schneller fahrenden Automobilen oder Motorrädern jede Spur! Einmal folgt auf eine längere Gefällestrecke ein mittelhoher Hügel. “Oh nein – wieder mühsam bergauf strampeln”, denke ich. Doch meine “Fallgeschwindigkeit” ist so hoch, daß ich alleine mit dem Schwung den gesamten Berg hochkomme – ich lache darüber minutenlang. ^^

Kurz vor Bad Salzungen folgt noch einmal eine gewisse Steigung – dort oben gibt es eine nachgebaute Burgruine namens “Frankenstein” (ernsthaft!).

In Bad Salzungen finde ich dank dem Tipp einer Einheimischen ein sehr gutes, kleines Restaurant namens “Kartoffelkäfer” (www.kartoffelkaefer.net). Dort sollte man unbedingt das Thüringer Rostbrätl probieren. Weiters empfehlenswert: Krušøvice Schwarzbier aus Böhmen! Quartier beziehe ich im Hotel Haus Hufeland am Burgsee.

Schon Abends beeindruckt mich diese mir zuvor vollkommen unbekannte Kurstadt dermaßen, daß ich einen Pausentag morgen an diesem schönen Ort erwäge.

Tag 8 – von Göttingen nach Eisenach

Tag 8 – von Göttingen nach Eisenach

Tag 8 – von Göttingen nach Eisenach

Nach den gestrigen “Verzögerungen” wegen Stadtbesichtigung und Fahrradinstandsetzung bilde ich mir heute ein, es unbedingt bis nach Eisenach schaffen zu müssen. Das sind alleine schon mal ca. 700 Höhenmeter, die es zu bewältigen gilt – mit Fahrrad und drei Packtaschen – und rund 100 Kilometer Strecke.

Unterwegs entdecke ich zwei uralte Steinkreuze, die in eine Felswand gemeisselt sind, und in denen, sowie um sie herum sich zahlreiche sogenannte Wetzrillen befinden – ohne Frage früher ein Ort von hohem religiösen/spirituellen Stellenwert! Wetzrillen sind für Historiker nach wie vor Gegenstand kontroverser Spekulation. Während man früher davon ausging, diese seien durch das Schleifen von Messern entstanden (oder das rituelle Schärfen von Schwertern an einem geheiligten Orte), so wird heute auch eine Gewinnung von Sand für “magische Zwecke” (also etwa zur Erstellung eines Amuletts, oder einer magisch aufgeladenen “Medizin”) für denkbar gehalten.

Ich persönlich bin zumindest der Meinung, daß es wohl kaum einfach nur dem “banalen” Schärfen von Gegenständen diente, da Wetzrillen praktisch ausschließlich an in irgendeiner Form wichtigen Orten auftreten. Von dem her ist anzunehmen, daß eine bestimmte Form magischen, okkulten, oder schlicht “abergläubischen” Denkens involviert war. Und die eher runde Form vieler Wetzrillen weist für mich darauf hin, daß augenscheinlich zumindest teilweise die Gewinnung von Sand, den man dann wohl mitnahm (zu welchem Zweck auch immer) eine Rolle spielte. Ganz generell faszinierend finde ich aber, daß das früher offenbar “ein großes Ding war” – und zwar länderübergreifend (letztes Jahr entdeckte ich beispielsweise Wetzrillen an einer sehr alten Kirche in Verona), aber wir heute – ein paar Jahrhunderte später – überhaupt keine Ahnung mehr davon haben.

Die zwei Kreuze stehen in Verbindung mit einem etwa 1000 Jahre alten Kloster in unmittelbarer Nähe (Reinhausen, Niedersachsen), von dem heute nur noch die Kirche und Teile von Klostermauer und Funktionsgebäuden übrig sind – denn das Kloster wurde in der Reformation aufgelöst.

Weiters bringt der Tag leider große Anstrengungen wegen der vielen und teils starken Steigungen, sodaß ich an diesem Tag wohl das erste Mal an’s Aufgeben denke. Die Steigungen sind teils so stark, daß ich sie in vielen kleinen Teiletappen bewältige. Ich bleibe dann immer wieder am Straßenrand stehen und warte, bis sich Puls und Kreislauf wieder soweit stabilisiert haben, daß ich ein weiteres, kleines Stück des Weges anpacken kann. Augenscheinlich sind diese “Bergstrecken” für Radfahrer dermaßen unattraktiv, daß neben der Straße gepflanzte Kirschbäume völlig unbepflückt sind. Gut für mich, der ich mich mit den saftigen und vollreifen Kirschen regelrecht mäste. ^^

Irgendwann komme ich dann auf einer vollkommen unbedeutend wirkenden Landstraße an ein gigantisches Hinweisschild, das darauf aufmerksam macht, daß sich hier dereinst die DDR-Grenze befand. Ohne dieses Schild wäre mir das auch nie aufgefallen, denn alles sieht hier heute weit und breit ruhig, grün und friedlich aus, und von Zäunen, Grenzpfählen, Wachtürmen oder dergleichen fehlt jede Spur. Jetzt aber, da ich darauf aufmerksam geworden bin erkenne ich von diesem hohen Punkt in der Landschaft aus auf -zig Kilometern das sogenannte “Grüne Band” – den ehemaligen Todesstreifen! Was für ein kranker, monströser Aufwand – diese superweite Entfernung lückenlos zu bewachen, denke ich bei mir! Ein Glück, daß das vorbei ist!

Nun fahre ich kurioser Weise auf der praktisch schnurgeraden Linie vom westdeutschen Hamburg zum westdeutschen München durch das ostdeutsche Thüringen! Wo man sich hier befindet, merkt man gleich, wenn man im Supermarkt Born-Senf – den korrekten Senf zur Thüringer Rostbratwurst – in praktisch “Anstaltspackungen” 😉 à 1 Liter (!) findet.

Ebenfalls ein Phänomen hier sind die nur mehr als gigantisch zu bezeichnenden Felder, die sich ihre Ausmaße noch aus den “LPG”-Zeiten (= Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, für alle, die sich mit DDR-Dingen nicht mehr so gut auskennen) erhalten haben. Viele Häuser haben auch nach wie vor diese “kackbraune” Farbe, die früher flächendeckend an so ziemlich allen DDR-Gebäuden vorzufinden war. Indes, die ganz krassen Ruinen sind zwischenzeitlich fast alle verschwunden, die Straßen sind zu gefühlten 80% in wahrhaft erlesenem Zustand, und es gibt auch viele Neubauten. Diese indes oft nach wie vor irgendwie in einem kargen Stil – ganz, als fehlte hierzulande das Bewusstsein darum, wie man mittels Blumen oder sonstigen dekorativen Elementen einen gemütlichen, schönen Ort erschaffen kann.

Eine Cafébesitzerin, deren Geschäft da eine löbliche Ausnahme bildet erklärt mir später, daß ein Problem, mit dem hier immernoch einige zu kämpfen haben die ungeklärten Eigentumsverhältnisse sind: Erbengemeinschaften aus dem Westen können sich nicht einigen, wer nun was haben soll. Und selbst wenn sie sich einigen würden – sie sind weit weg…so fehlt die langfristige Bleibeperspektive, und somit eine Grundlage dafür, in die eigene Wohnstatt zu investieren. Ich merke, hier wäre im Grunde der Gesetzgeber gefragt, der all zu unfähige Eigentümer “im Westen” meines Erachtens notfalls zwangsenteignen sollte – denn der tägliche Alltag all derer, die hier seit Jahrzehnten wohnen hat klar mehr Gewicht als das abstrakte Eigentumsrecht irgendwelcher Erben, die oft keinerlei Bezug mehr zu diesen Gegenden hier haben, und mittlerweile ihr Leben wo anders aufgebaut haben.

Einer, bei dem alles bereits geklärt ist ist der Betreiber der Pension, in der ich in Eisenach übernachte: Er hatte das Haus, das einmal seiner Familie gehört hatte nach 1989 zurückerhalten, und es dann selbst zu einem schönen Gästehaus umgebaut – ein bemerkenswerter Mann! Ich erreiche Eisenach indes erst gegen 23:00 Uhr – kräftemäßig total am Ende, und mit einem mittelschweren Sonnenbrand auf Armen und Beinen (ich hatte mit dem Sonnenschutz erst angefangen, als die Haut bereits recht rot war – zu spät bemerkt…).

Zu meinem Zimmer gehört ein Bad mit großer Badewanne, die ich mir abends noch einlasse. Witziger Weise wird das (Neben-) Haus, indem ich untergebracht bin teilweise als Wohnhaus einer Familie genutzt, die Teile des Jahres über hier einziehen – deswegen ist das Ambiente äußerst privat und persönlich – vermutlich die skurrilste Übernachtung während meiner gesamten Reise!

Weil meine sonnenbrandgeschädigten Beine die Wärme nicht vertragen, genieße ich “unten” das warme Wasser, und lasse von oben kühles Wasser aus der Dusche auf meine rötlichen Beine pritscheln. Das ist angenehm. Uneins bin ich mir noch über die Frage, wie es die kommenden Tage weitergehen soll. Ich fühle mich einerseits etwas regenerationsbedürftig – andererseits zeigt die Erfahrung der zurückliegenden Tage, daß auf einen Tag mit viel körperlicher Leistung meist ein Tag mit erhöhter körperlicher Leistungsfähigkeit folgt. Bloß – mit der “Gewalttour” nach Eisenach habe ich es diesmal etwas übertrieben.

Tag 7 – von Einbeck nach Göttingen – mit Boxenstopp

Tag 7 – von Einbeck nach Göttingen – mit Boxenstopp

Tag 7 – von Einbeck nach Göttingen – mit Boxenstopp

Gerade hat tumblr meinen gesamten, bereits getippten Text gelöscht. 1,5 Stunden Arbeit futsch. Eine schockierende Erfahrung. Immerhin habe ich infolgedessen nun gelernt, wie man sicherheitshalber zwischendrin immer wieder Entwürfe auf tumblr speichert. Von vorn also:

Der Vormittag begann mit der Besichtigung von Einbeck – so, wie ich es mir am Vorabend vorgenommen hatte. Obwohl es morgens noch regnete, sollte der Wetterbericht Recht behalten: Der ganze Tag wurde sonnig.

Einbeck ist natürlich SEHR faszinierend: Überreiche Dekorierung mit figürlich gestalteten Holzornamenten, Symbolen und Inschriften an den Häusern, die regelmäßig aus Fünfzehnhundertsoundso stammen: Anfang des 16. Jahrhunderts brannte Einbeck nämlich aus, doch die damals bereits sehr wohlhabenden Bewohner bauten alles gleich sehr hochwertig wieder auf!

Einbeck war, wie ich ja bereits erwähnt hatte hauptsächlich eine Stadt des Bieres. Jedes ca. zweite Haus hatte ja die Bierbrau-Lizenz, und man kann an den Fassaden noch heute ablesen welche Häuser das waren: Sie haben jeweils eine riesige Einfahrt in der Fassade. Oben in den Fotos sieht man so eine Einfahrt, die freilich in jüngerer Zeit an heutige Erfordernisse angepasst wurde. Manche sagen, die breiten Einfahrten seien für die Fuhrwerke mit den Fässern so gebaut worden, andere sagen, es wäre dafür gewesen, daß man die Braupfanne in das Gebäude hineinbekommt. Womöglich haben beide Recht.

Zum Bierbrauen gibt es eine nette Geschichte über den berühmt/berüchtigten Till Eulenspiegel, der Einbeck mehrfach heimgesucht haben soll. Er ist auch unter Anderem an einem der Stadtbrunnen verewigt worden (siehe obige Fotos). Hier die Geschichte im Wortlaut:

Die 45. Historie sagt, wie Eulenspiegel in Einbeck ein Brauergeselle wurde und einen Hund, der Hopf hieß, anstelle von Hopfen sott. 

Eifrig machte sich Eulenspiegel wieder an seine Arbeit. Zu einer Zeit, als in Einbeck sein Streich mit den Pflaumen, die er beschissen hatte, vergessen war, kam er wieder nach Einbeck und verdingte sich bei einem Bierbrauer. Da begab es sich, daß der Brauer zu einer Hochzeit gehen wollte. Er befahl Eulenspiegel, derweilen mit der Magd Bier zu brauen, so gut er könne. Später wolle er ihm zu Hilfe kommen. Vor allen Dingen solle er mit besonderem Eifer darauf achten, den Hopfen wohl zu sieden, damit das Bier davon einen kräftigen Geschmack bekomme, so daß er es gut verkaufen könne. 

Eulenspiegel sagte: »Ja, gern«, er wolle sein Bestes tun. Damit ging der Brauer zusammen mit seiner Frau zur Tür hinaus.
Eulenspiegel begann, tüchtig zu sieden. Die Magd unterwies ihn, denn sie verstand mehr davon als er. Als es nun soweit war, daß man den Hopfen sieden sollte, sprach die Magd: »Ach, Lieber, den Hopfen siedest du wohl allein. Vergönne mir, daß ich für eine Stunde weggehe und beim Tanzen zuschaue.« Eulenspiegel sagte ja und dachte: Geht die Magd auch weg, so hast du Gelegenheit zu einem Streich; was willst du nun diesem Brauer für eine Schalkheit antun? 

Nun hatte der Brauer einen großen Hund, der hieß Hopf. Den nahm er, als das Wasser heiß war, warf ihn hinein und ließ ihn tüchtig darin sieden, daß ihm Haut und Haar abgingen und das ganze Fleisch von den Knochen fiel. Als die Magd dachte, daß es Zeit sei, heimzugehen und der Hopfen genug gekocht sei, kam sie und wollte Eulenspiegel helfen. Sie sagte: »Sieh, mein lieber Bruder, der Hopfen hat genug gesiedet, laß ablaufen!« Als sie nun das Sieb versetzten und mit einer großen Kelle zu schöpfen begannen, da sagte die Magd: »Hast du auch Hopfen hinein getan? Ich merke noch nichts davon in meiner Kelle!« Eulenspiegel sprach: »Auf dem Grund wirst du ihn finden.«  

Die Magd fischte danach, bekam das Gerippe auf die Kelle und begann laut zu schreien: »Ei, behüte mich Gott, was hast du darein getan? Der Henker trinke das Bier!« Eulenspiegel sagte: »Wie mich unser Brauer geheißen hat, Hopf, unsern Hund.« 

Währenddessen kam der Brauer betrunken nach Hause und sprach: »Was macht ihr, meine lieben Kinder, seid ihr guter Dinge?« Die Magd sagte: »Ich weiß nicht, was den Teufel wir tun. Ich ging eine halbe Stunde, dem Tanz zuzusehen, und hieß unsern neuen Knecht, den Hopfen derweilen gar zu sieden. Da hat er unseren Hund gesotten, hier könnt Ihr noch sein Rückgrat sehen.«  

Eulenspiegel sprach: »Ja, Herr, Ihr habt mich das so geheißen. Ist das nicht eine große Plage? Ich tue alles, was man mich heißet, aber ich kann keinen Dank verdienen. Welche Brauer man auch nehmen will: wenn ihr Gesinde nur die Hälfte von dem tut, was man es heißt, sind sie damit zufrieden.« 

Also nahm Eulenspiegel seine Entlassung, ging davon und verdiente nirgends großen Dank.”

Soweit also zu Till Eulenspiegel. Doch nun zurück zur Reise:

Mitten in Einbeck fand ich ein Haus mit zwei antiken Hakenkreuzen an der Fassade – neuzeitlich um den Hinweis ergänzt, es handle sich dabei um den Teil eines Familienwappens (siehe oben). Das fand ich interessant, denn bisher hatte ich geglaubt, das Hakenkreuz hätte es vor den Nazis lediglich z.B. in Indien gegeben, wo das wohl unter dem Namen “Sonnenrad” bekannt ist. Auch gibt es Buddha-Statuen mit Hakenkreuz.

Nachdem ich mir gleich nebenan für einen Euro (!) einen sehr guten Obstsalat gekauft habe, fahre ich weiter zu einem Fahrradgeschäft, das mir bereits (indes zu dem Zeitpunkt hatte es bereits für den Tag geschlossen) bei meiner gestrigen Anfahrt am Stadtrand aufgefallen war, und das mir zudem auch noch meine Hotelierin empfohlen hatte.

Ich wollte zum Fahrrdladen primär aus zwei Gründen: So machte meine Schaltung Zicken, eigentlich bereits seit ich das Fahrrad beim Verkäufer abgeholt hatte. Trotz vorhandenen Kenntnissen um die korrekte Einstellung von Schaltungen war es mir zu meinem zunehmenden Verdruss auf den bereits zurückgelegten Kilometern nie richtig gelungen, das Problem in den Griff zu bekommen.

Und außerdem hatte ich per Zufall entdeckt, daß mein Steuersatz lose war – ein Zustand, der temporär alle paar hundert Kilometer durch Festziehen der Muttern von Hand “behoben” werden kann, der dauerhaft jedoch nur mittels dem richtigen Werkzeug zum Justieren der Kontermuttern abzustellen ist.

Der Besuch dieses Fahrradladens brachte aber nicht nur eine Lösung dieser Probleme, sondern beseitigte unverhofft auch eine Anzahl anderer Themen, die mir auf meiner weiteren Reise durchaus hätten ernste Schwierigkeiten bringen können, und von denen ich vorher noch gar nichts gewusst hatte. Obwohl auf eine Woche mit Reparaturaufträgen ausgebucht, wurde mein Rad, da ich mich auf einer Tour befand und sozusagen ein “Notfall” war, dazwischengeschoben!

Was dann alles in Ordnung gebracht wurde, liste ich hier mal auf:

  • Die Schaltung machte die o.g. “Zicken”, da wie sich herausstellte das Ausfallende verzogen war – es wurde neu ausgerichtet.
  • Bei der Dreigangschaltung in der Nabe (SRAM DUALDRIVE) war der Schaltstift gehörig verbogen – er wurde gerichtet.
  • Die Bremsbeläge vorne und hinten waren ziemlich “runter” – wurden gegen neue ausgetauscht.
  • Der klappernde Fahrradständer wurde befestigt. Da mussten neue Schrauben und selbstsichernde Muttern rein.
  • Die Räder wurden zentriert, damit die Felgen nicht mehr an den Bremsbelägen scheuern.
  • Steuersatz festgezogen.
  • Rücklicht festgezogen.
  • Antriebskette neu geschmiert – das Trockenschmiermittel, das mir ein Fahrradladen in Hamburg empfohlen hatte, hatte es bei der stundenlangen Fahrt im Regen gestern komplett ausgewaschen.
  • Lagerspiel im Hinterrad wurde beseitigt. Dieses Spiel alleine hätte mir sonst auf der langen Strecke bis München die Lager zerstören können.

Und zu guter Letzt zeigte mir der sehr nette Monteur auch noch, wie ich die Federung an meinem Hinterrad werkzeuglos einstellen kann (sie war vorher immer zu weich für mich – der Vorbesitzer war wohl kleiner und leichter als ich).

Kurzum: Dieses Fahrradgeschäft ist in jeder Hinsicht empfehlenswert. City-Bike Einbeck, www.city-bike-einbeck.de

All das hat natürlich Zeit gekostet. Von dem her schaffte ich es an dem Tag nur bis Göttingen.

Göttingen, eine Studentenstadt: Überall junge Leute, frischer Wind in dem Laden, diverse Cafes, Restaurants und eine nette Altstadt mit zahlreichen Fachwerkhäusern, deren Stil indes bereits etwas strenger ausfällt als zuletzt in Einbeck.

Da ich auf die Schnelle kein empfehlenswertes, aber günstiges Hotel fand, probierte ich es diesmal erstmalig mit einer Jugenherberge.

Das kann ich rückblickend nur als bestenfalls “bedingt empfehlenswert” bezeichnen: Für vielleicht 15.- bis 25.- Euro Ersparnis musste ich mein Bett selbst beziehen, hatte ein SEHR kleines Zimmer, es gab bloß eine Etagendusche, und man sollte nach dem Frühstück auch noch seinen Tisch wischen. Also ich sach mal – gehen tut das Alles. Aber als “Sparmodell” im Urlaub halte ich das in Anbetracht der Abstriche, die man dafür machen muß für nicht unbedingt sinnvoll.