Tag 6: Laatzen nach Einbeck
Tag 6: Laatzen nach Einbeck
Der heutige Tag hat mich nochmal ganz anders gefordert als die Bisherigen. Und er brachte die erste ernsthafte Beziehungskrise mit meiner für mich bislang wegweisenden Stimme, der ja bereits mehrfach lobend erwähnten App ‘komoot’. Doch der Reihe nach:
Erstmal ging es spät los aus Laatzen. Ich war mit meinem Blog in Verzug geraten und wollte die fehlende Zeit dokumentieren. Außerdem stattete ich nochmal DHL einen Besuch ab, und schickte etwa 1,3 Kilo Material, das ich als Ballast identifiziert hatte zurück zu mir nach Hause. Und holte mir in einem nahen Elektronikshop ein zusätzliches 2-Port USB-Ladenetzteil, damit ich endlich auch meine GoPro-Kamera und das Handy über Nacht mit Strom auffüllen kann, und nicht nur mein iPad bzw. den Backup-Akku, den ich den ganzen Tag zur Aufrechterhaltung der Navigationsfunktion am Laufen habe.
Übrigens bleibe ich bei meiner Behauptung, daß irgend etwas mit Hannover und seinen Außenbezirken nicht stimmt: Egal, wo ich hinkam: Die Leute auf der Straße wirkten signifikant oft wie versteinert auf mich. Die Einzigen, die in der Hinsicht “aus der Rolle fielen”, waren wie immer die kleinen Kinder, die in ursprünglicher Natürlichkeit schauten, und sagten: “Cooles Fahrrad”, oder dergleichen. Bei den Erwachsenen bemerkte man eine Milisekunde Verwunderung – dann wird sofort ostentativ weggeschaut! Selbst, wenn man demonstrativ freundlich lächelt, passiert meist nichts. Das Höchste der Gefühle ist schon, wenn einen dann verdutzt jemand anschaut wie ein Haus.
Also, ich weiß nicht, was mit den Menschen aus Hannover passiert ist, aber es ist nichts Gutes. Wobei ich Wert auf die Feststellung lege, daß ich auch in Hannover auf nette Menschen gestoßen bin, das hatte ich ja bereits gesagt. Es ist nur der ich sach mal Atmosphären-prägende Eindruck, den ich anspreche.
Doch weiter im Text: Meine Fahrt führte mich über zunächst diverse gepflasterte Radwege (das kannte ich ja aus Hamburg) raus aus der Metropolregion Hannover auf’s Land. Kaum 5, 10 Kilometer raus aus der Stadt fangen auch auf einmal die Gärten wieder an, schöner auszusehen, die Menschen verhalten sich natürlicher, und die Radwege sind auch nicht mehr gepflastert, sondern (entweder gar nicht vorhanden, oder) geteert – oder aber aus Beton gegossen, wobei in letzterem Falle alle ca. 2,5 Meter als Sollbruchstelle eine Rille quer zur Fahrbahn in den ausgehärteten Beton gefräst wird (das macht man, damit Risse sich nicht ´zig Meter lang fortsetzen können).
Heute habe ich dann aber was Bescheuertes gesehen: Einen asphaltierten Radweg mit derlei eingefrästen Rillen! Erstens benötigt der ja auch nach dem Verlegen noch flexible Asphalt so etwas gar nicht, und zweitens sind die Rillen dann der ideale Angreifpunkt für frost- und Pflanzenwuchs-verursachte Fahrbahnschäden. Welcher Trottel dafür wohl verantwortlich sein mag?
Nach ein paar eher schlechten Erfahrungen mit Radwegen (oder deren Abwesenheit) befuhr ich heute auch ein längeres Teilstück blitzsauber verlegten Beton-Fahrradweges (Foto siehe oben) – ein Genuss!
Doch am späten Nachmittag wurde es haarig. Zunächst mal tauchten die ersten “Berge” auf, und kündeten von bevorstehenden Zusatzbelastungen durch Steigungen. Und dann – kurz nach meiner ersten Sichtung eines Tornados (siehe vorangegangener Artikel samt Video) zog richtig übles Wetter auf – und das gleich mehrfach, nur kurz unterbrochen von Phasen des Sonnenscheins. Das Wasser kam schließlich durch die Taschen auch in meine Goretex-Jacke, und nachdem ich für Fotos von einer weiteren, schönen Windmühle kurz von meinem Rad abgestiegen war, wurde auch noch mein Hintern über die vollgeregnete Rückenlehne nass.
Eine Zeitlang konnte ich mir einreden, daß ich ein “toller Held” sei, der dem Regen trotzt, dann aber fühlte ich mich irgendwann nur noch wie ein ganz normaler, frierender, elendiglicher Normalmensch lol.
Ja, und während das alles geschah, wurden die Steigungen an der Strecke immer wilder, und die App ‘komoot’ zeigte stetig an Hirnrissigkeit zunehmende Ausfallserscheinungen:
Was nachmittags noch mit der Anweisung, eine für Fahrräder gesperrte Landstraße zu befahren begonnen hatte, gipfelte schließlich in der Meinung, ich solle trotz einer ebenfalls vorhandenen, kilometerlangen Abfahrt (!) auf einem gut ausgebauten Radweg lieber absolut sinnlos auf dubiosen Feldwegen mehrere ernstzunehmende Berge rauf- (!) und wieder runterfahren, um so nach Einbeck zu gelangen.
Gott sei Dank kann ich aber immer noch Karten lesen und selbständig denken – und so war ich ab der denkwürdigen Weggabelung in 20 Minuten sausender Bergabfahrt in Einbeck – und nicht nach eineinhalb weiteren, kraftzehrenden Stunden im Regen und in der Kälte, wie komoot es idiotischer Weise für mich vorgesehen hatte!
Und – fast hätte ich vergessen es zu erwähnen: Selbst wenige hundert Meter von Einbeck entfernt, verlangte komoot via Lautsprecheransage immer noch in nicht zu überbietender Sturheit von mir, die zwei, drei Kilometer steil bergauf (!) zurückzufahren, um komoot’s ursprünglichen Vorschlag doch noch zu “bedienen”! Also ab heute ist diese App in der Quarantäne bei mir! Maßgebliche Streckenentscheidungen nur noch nach Rückversicherung über Google Maps.
Einbeck indes schlug mich bereits nach wenigen Minuten in seinen Bann: Nirgends sonst habe ich je so viele schier unglaublich alte Fachwerkhäuser mit kreativ gestalteten, überreich mit Schnitzereien und Ornamenten verzierten Fassaden gesehen! Und wer kennt schon “Einbeck”?!? Als Taxi- und Limousinenfahrer habe ich ja mehrfach geschichtshungrige Amerikaner in das berühmte (und definitiv ebenfalls besuchenswerte) Rothenburg ob der Tauber gefahren. Doch wenn die Amerikaner wüssten, was es in EINBECK zu sehen gibt, dann könnte Rothenburg ‘zammpacken! Von dem her sehr seltsam, daß Einbeck überregional so wenig bekannt ist.
Ich hab jetzt nicht all zu viel Zeit zum Schreiben, denn ich werde müde – aber zu Einbeck gibt es auch sonst sehr viele historische Daten und Fakten, die beeindrucken – und wenigstens ein paar davon möchte ich hier noch erwähnen:
So war bereits vor hunderten von Jahren (die meisten Gebäude im historischen Stadtkern datieren auf das 16. Jahrhundert) ca. jedes zweite (!!!) Haus im Besitz des Braurechtes. Die sprichwörtlich halbe Stadt war also eine einzige, gigantische Bierproduktion! Trotz dieser Vielzahl an Brauereien wurde das Bier aber zentral vermarktet (ebenfalls ungewöhnlich) – und es gelangte auch damals schon an unwahrscheinlich weit entfernte Orte – so auch nach München.
Bayern, ihr müßt jetzt tapfer sein: Unser als ‘urbayrisch’ erachtetes “Bock”-Bier ist nichts anderes als eine “billige Kopie” 😉 einer ehedem nur in Einbeck produzierten Bierspezialität! Ich zitiere hierzu Wikipedia:
“Der Ursprung dieser Biersorte liegt in der ehemaligen Hansestadt Einbeck in Niedersachsen. Mit der Vergabe des Stadtrechtes 1240 durch die Söhne Heinrichs des Löwen war auch ein Braurecht für die Bürger verbunden. Das im Mittelalter gebraute obergärige Bier galt als Luxusware und wurde über weite Strecken, unter anderem bis nach Italien, exportiert. Um die dafür nötige Haltbarkeit zu erreichen, braute man es mit einem ungewöhnlich hohen Stammwürzegehalt. Das Resultat war ein schweres, alkoholreiches Bier.
Der herzögliche Hof der Wittelsbacher in München ließ sich seit 1555 aus Einbeck beliefern, bis man 1573 das erste bayerische Hofbräuhaus zunächst auf der Landshuter Burg Trausnitz gründete und 1589 nach München verlegte, um selbst Bier zu brauen. 1614 wurde der Braumeister Elias Pichler von Einbeck an das Hofbräuhaus abgeworben, der fortan sein Ainpöckisch Bier in München braute. In der Münchner Mundart wurde daraus im Lauf der Zeit die Bezeichnung Bockbier. Das Wort Starkbier ist wesentlich jünger, es kam erst im 20. Jahrhundert auf.”
Für morgen habe ich mir vorgenommen, außerplanmäßig einmal dieses Einbeck etwas näher unter die Lupe zu nehmen. Dabei kann ich endlich auch wieder saubere, trockene Kleidung tragen. Die bemerkenswert nette Hotelierin (Haus Johanna, http://www.haus-johanna-einbeck.de) hat mir angeboten, meine Sachen über Nacht zu waschen und zu trocknen! Wenn so etwas kein legitimer Grund für ein ordentliches Trinkgeld ist, was ist es dann? 🙂
Ach und übrigens, wo wir schon gerade bei Empfehlungen sind: Mein Abendessen habe ich im Restaurant Italia eingenommen: Souveräne original italienische Küche jenseits des üblichen 08/15 Krams. Nettes Personal, schöne, saubere Toiletten – kurzum alles passt und macht Freude! http://www.ristorante-italia.info/index.html
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